Hessisch Oldendorf

Der Jüdische Friedhof und die Juden von Oldendorf

An der Straße zum Neuen Friedhof liegt rechter Hand der Friedhof der Oldendorfer Juden.

Ein Rundgang zwischen den alten Steinen ist zugleich einen Gang durch die jüdische Geschichte von Hessisch Oldendorf.

Bevor wir das Tor durchschreiten, sehen wir die Jahreszahl 1832 am Torpfeiler. Das früheste auf einem Grabstein angebrachte Sterbejahr ist aber 1830.

Juden sind in Oldendorf seit dem 14. Jahrhundert nachgewiesen und haben seit ca. 1600 fast durchgängig hier gelebt. Deshalb hatte diese Begräbnisstätte eine Vorgängerin, nämlich an der Nordseite des Stadtwalles, seit etwa 1675. Damals lebten drei jüdische Familien namens „Wallach“ oder „Wallich“ als Schutzjuden in der Stadt, sehr wahrscheinlich Verwandte der Wallachs in Rinteln. Die drei Brüder befassten sich hauptsächlich mit Geldgeschäften und traten in den 1690er Jahren mehrmals auch als Kreditgeber der Stadt auf. 1697 z.B. lieh sich die Stadt von einem der Wallach 120 Taler, damit sie den Schulrektor bezahlen konnte. Die Juden brauchten und bekamen einen „Totenhof“ am Nordwall für 1 Reichstaler Erbpacht jährlich. So ist es in den Rechnungsbüchern der Stadt aufgezeichnet, und weil meistens dabei steht, welche Familienväter die Pacht entrichteten, kennen wir über einen längeren Zeitraum die Namen der jüdischen Familien.

 

 

 

 

 

Der Juden "Todenhoff" am Stadtwall. (Stadtkarte v. 1748) 

Auf dem Wall also müssen jene Juden begraben sein, die hier noch nicht liegen. 

Hundert Jahre nach den Wallachs lebten drei andere jüdische Familien in Oldendorf. Die Familienoberhäupter waren die „Kauf- und Handelsleute“ Jacob Hirsch  mit Sohn Hertz, sowie Itzig. Sie besaßen die Häuser Nr. 46, 37 und 25 in der Langen Straße.   

Nachdem Oldendorf mit ganz Kurhessen in das napoleonische Königreich Westfalen eingegliedert war, mussten die Juden zu Beginn des 19. Jh. feste Familiennamen annehmen. Die Nachkommen von Jacob, Hertz und Itzig wählten die Namen Rosenberg, Blumenthal und Lilienfeld. Diese Namen finden wir dann auch auf diesem Friedhof.

Rosenberg betrieb Geldgeschäfte und das Schlachterhandwerk, Blumenthal war ebenfalls Schlachter und Lilienfeld Kaufmann.

Die Anlage dieses Friedhofes geht auf ein Verlangen der Stadt zurück. Sie wollte 1828 auf dem Nordwall einen „Promenadenweg“ mit Apfelbäumen anlegen und fand es „anstößig“, dass er am Judenfriedhof vorbei führen sollte. 

Nach Verhandlungen kaufte die Judenschaft, die damals etwa 30 Köpfe zählte, dieses Gelände hier an der so genannten „Grandkuhle“ für 15 Taler als erbliches Eigentum. Der Pachtvertrag über die Begräbnisstätte am Nordwall wurde aufgelöst, aber festgeschrieben, dass die alten Grabsteine dort stehen bleiben müssten und die Stadt verpflichtet sei, „an diesem Platze überhaupt nichts zu verändern“. Trotzdem gibt es dort von den jüdischen Grabsteinen nicht mehr die geringste Spur.

Betreten wir den Friedhof, so sehen wir, dass die Gräber in vier parallelen Reihen liegen und die Toten in Ost-West-Ausrichtung bestattet wurden. Bezeichnen wir die Reihen von West nach Ost mit A, B, C, D, so ist das auch die zeitliche Abfolge.

Wir betrachten ausgewählte Gräber.

 

 

 

 

 

 

 

Grab A3 gehört Aron Meier Levi, gestorben 1835. 

Er war Kaufmann in Fischbeck und ist hier begraben, weil Fischbeck zur Synagogengemeinde Oldendorf gehörte. Diese war 1823 durch kurhessische Regierungsverordnung gebildet worden und umfasste die Orte Oldendorf, Deckbergen, Fischbeck, Großenwieden und Hattendorf.

Meier Levi war der erste Synagogenälteste. Die Synagoge der Gemeinde, das „Bethaus“, befand sich in einem Hinterhaus auf dem Grundstück des Moses Rosenberg in der Langen Straße 46. (Vorder- und Hinterhaus sind lange abgerissen.) Später gab es nur noch einen „Betraum“, offenbar immer im Haus des jeweiligen Gemeindevorstehers.

Auch eine jüdische Schule ist nachgewiesen, auf die wir später noch zu sprechen kommen. Im Verlauf der wilhelminischen Kaiserzeit sank die Zahl der erwachsenen männlichen Mitglieder so weit, dass die Synagogengemeinde als solche nicht mehr existieren konnte. Man besuchte dann die Synagoge in Hameln.

 

 

 

 

 

 

 

Grab A4 gehört Baruch ben Shimson Halevi, gestorben 1835.

Ab 1810 trug seine Familie den Namen „Blumenthal“.

Die Eroberung des Landes durch Napoleon brachte einerseits Unterdrückung und militärische Aushebungen, anderseits die Gleichheit aller vor dem Gesetz, Freiheit der Religion, Abschaffung des Zunftzwanges und für die Juden die so genannte Emanzipation:

Sie erhielten die volle bürgerliche Gleichberechtigung. Bis dahin hatten sie nur den Status von geduldeten „Schutzjuden“ gehabt, ohne Bürgerrechte, mit beschränktem Aufenthaltsrecht.

Baruch Blumenthal fühlte sich weniger als Untertan Napoleons, sondern als patriotischer Deutscher, denn im „Freiheitskrieg“ von 1814/15 gehörte er zu den Schaumburgern, die „zur Verteidigung des deutschen Bodens mit ins Feld gezogen“. Er war Unteroffizier und erhielt 1823 die Ehrenmedaille des Kurfürsten.

Seinem Vater war noch verboten worden, als Jude am Kirchplatz ein Haus zu kaufen. Aber sein eigener Name wurde als der eines Freiheitskämpfers auf einer Tafel in der Kirche angebracht. (Die Tafel wurde in den 1930er Jahren entfernt.)

Baruch Blumenthal auf Nr. 7 der Liste der Freiheitskämpfer gegen Napoleon.

Erstaunlicher Weise wurde das noch 1938 in den "Schaumburger Heimatblättern" veröffentlicht! Im Jahr davor nannte man sogar seinen Dienstgrad ("Capitain D'armes" bedeutet Versorgungsunteroffizier) und gab deutlich seine jüdische Identität an: