Hessisch Oldendorf

Der Erste Weltkrieg auf dem Dorf

Aus der Schul- und Dorfchronik von Pötzen*

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1911

Lehrer Hermann Peter, geboren in Hessisch Oldendorf, übernahm 1906 die einklassige Dorfschule in Pötzen, nachdem er die Schulstelle in Rumbeck wegen zu geringer Bezahlung verlassen hatte.   

  Jeder Schulleiter musste eine Chronik führen. Die Vorgesetzten nahmen regelmäßig Einblick in das Buch. Dies muss man bedenken, wenn man neben den Ereignissen aus Gemeinde und Schule auch Berichte zur allgemeinen politischen Lage liest. Lehrer Peter zeigt sich so, wie man es von einem preußischen Lehrer und Beamten erwartet: national gesinnt und kaisertreu.

  Den Ausbruch des Weltkrieges am 1. August 1914 erklärt er entlang der offiziellen Sichtweise. Die Schuld liege allein auf Seiten Russlands. Die nationale Gesinnung, die er äußert, ist kein toleranter Patriotismus, der ohne die Abwertung anderer Vaterländer auskommt, sondern der leider zeittypische überhebliche Nationalismus. So wird dieser Krieg als „Kampf des Barbarentums gegen die Kultur“ betrachtet, wobei England und Frankreich als „zivilisierte Nationen“ sich „mit den barbarischen Anstiftern“ - also Russland und Serbien - verbündeten, um die „Vernichtung der Kultur“ zu betreiben, die selbstverständlich von den westlichen Staaten Deutschland, Frankreich und England verkörpert wird.

Wenn Peter von den ersten Gefallenen des Dorfes erzählt, bietet er mehr als eine nüchterne Aufzählung, denn er widmet jedem einzelnen der jungen Männer eine mitfühlende persönliche  Wertschätzung, die auch den heutigen Leser nicht unberührt lassen wird. 

  Die Schilderungen der angespannten Versorgungslage stammen im Wesentlichen von Anfang 1916, während doch der sprichwörtliche „Steckrübenwinter“ in den Städten erst 1916/17 stattfand. Eindrücklich sind die bis 1919 nochmals drastisch gestiegenen Preise, die Peter nachträgt. Aus Zeitzeugenberichten vom Zweiten Weltkrieg weiß man, dass die Bauern natürlich niemals hungerten. Das gilt auch für den Ersten Weltkrieg: Für die „Hamsterer“ aus den Großstädten war immer noch etwas übrig, wie Peter anschaulich erzählt.

  Hinsichtlich des Kriegsendes nennt der Dorfschullehrer „die Unzufriedenheit im Lande“ als eigentliche Ursache dafür, dass Deutschland „ein Friedensangebot“ machte. In Wahrheit wich die deutsche Armee im Westen seit August 1918 nur noch zurück und der Durchbruch der Allierten drohte - so dass der Kopf der Obersten Heeresleitung, General Ludendorff, am 29. September einen Waffenstillstand binnen 48 Stunden forderte. Das stand in keiner deutschen Zeitung. 

  Lehrer Peter folgt der nationalkonservativen Propaganda von der „Dolchstoßlegende“, wenn er schreibt, die deutschen Truppen hätten „draußen standgehalten“ und könnten „nicht als besiegt“ bezeichnet werden. „Nur der Zusammenbruch im Innern unseres Vaterlandes zwang uns, die schmachvollen Waffenstillstandsbedingungen anzunehmen.“ Die Wahrheit ist, dass die Meuterei der Kieler Matrosen und damit die Revolution erst ausbrach, als (und weil) der Krieg militärisch verloren war. Es war die Oberste Heeresleitung selbst, die verlangte, die harten Waffenstillstandsbedingungen müssten angenommen werden, weil der Krieg militärisch nicht weiter geführt werden konnte. Unterschreiben und den Kopf hinhalten ließ man dann die Sozialdemokraten, denen man die „Macht“ und die Verantwortung zugeschoben hatte. 

  Sachlich und zutreffend spricht Peter die inneren Unruhen an, mit denen die Regierung Ebert zu kämpfen hatte (und die sie blutig beendete) - mithilfe von Freikorps (die alles andere als demokratisch gesinnt waren).

Bemerkenswert dann, dass bei den ersten demokratischen Wahlen 1919 für den Preußischen Landtag mehr als 50% der Pötzener Wähler für die SPD votierten.

  Über den Schulunterricht in den Kriegsjahren erfahren wir, dass er meistens nur an drei Wochentagen statt fand, … dass viele Kinder ständig zur landwirtschaftlichen Mithilfe beurlaubt waren, … dass ein großer Teil der Schulzeit zum Sammeln von allem möglichen verbraucht wurde, … dass also „die Schule sehr zurück kam“.

In seinen düster-trotzigen Schlussworten zu diesem Kriegs-Kapitel spricht Peter vom „zerschmetterten schönen Vaterland“  und der Hoffnung auf ein zukünftiges „einiges, großes, herrliches Deutschland“. 

Da lässt sich aus heutiger Sicht schon eine schwere Hypothek erkennen: eine schulisch vernachlässigte Jugend in einem national gedemütigten Volk.

Schlechte Voraussetzungen für schwere Zeiten, die kommen sollten.


Der deutsche Mobilmachungsbefehl traf hier in Pötzen [1. August 1914] um 6.30 Uhr ein. Die Spannung, die den ganzen Tag über geherrscht hatte, löste sich nun, dafür trat eine große Aufregung, besonders unter der weiblichen Bevölkerung ein. Wurden doch nun aus unserer Gemeinde über 40 Männer […] in wenigen Tagen zu den Waffen gerufen. Auch ich, der Inhaber dieser Schulstelle, habe mich als Angehöriger der Landwehr 1. Aufgebots am 5. Mobilmachungstage, das ist am 6. August morgens 9 Uhr, in Hameln zum Eintritt in das Heer zu melden. Aber auch der Landsturm bis zum 45. Lebensjahre muß zum Teil bald eintreten, zum Teil sich zur Stammrolle anmelden. Da außerdem auch eine große Anzahl Pferde wegmüssen, so geraten die Erntearbeiten vollständig ins Stocken. Ist doch noch nicht einmal der Roggen ganz unter Dach und Fach.

  Am 1. August abends kurz nach der deutschen Mobilmachung überschritt russisches Militär die deutsche Grenze und griff deutsche Posten an, wobei es einige Verwundete gab. Da damit Deutschland von Rußland angegriffen war, so erklärte der Deutsche Kaiser an Rußland den Krieg.

Warum trieb Rußland zum Kriege? Um die Unabhängigkeit Serbiens zu schützen, so lautet  der Vorwand. Da Österreich versprochen hat, keine Eroberungen machen zu wollen, läuft die russische Politik auf den einen Punkt heraus, Österreichs Mitwirkung bei der Verfolgung des Sarajewoer Mordes auf serbischem Boden illusorisch zu machen. Das  heißt auf gut Deutsch: Den Belgrader Verbrechern Straffreiheit zu sichern, die Mörder ihres eigenen Königs am Ruder zu erhalten, die durch ihre Schuld willenlose Sklaven russischer Macht sind.

Eine im tiefsten Grunde unmoralische Ursache ist es daher, die Rußland zum Schwert greifen läßt, und das dadurch zivilisierte Nationen zum Vernichtungskampf gegen einander zwingt, die sich in der Verdammung des Kriegsgrundes vollkommen einig sind. Der Kampf des Barbarentums gegen die Kultur wiederholt sich wie zur Zeit der Völkerwanderung und des späteren Mittelalters. Nur mit dem Unterschiede, daß zivilisierte Nationen sich mit den barbarischen Anstiftern verbrüdern und mit ihnen zusammen an der Vernichtung der Kultur arbeiten.

  Unendlich schwer, unübersehbar in seiner Ausdehnung wird voraussichtlich der Kampf werden, aber wir Deutschen vertrauen auf Gott und unser gutes Recht! Von Rußland wollte kein Mensch etwas; nachdem Österreich erklärt hatte, daß eine Gebietsabtretung Serbiens garnicht in Betracht komme, war das Zarenreich auch unmittelbar nicht in seinen Interessen bedroht. Da es trotzdem zu den Waffen greift, bricht es einen unabsehbaren Krieg frivol vom Zaun.

  Was aber auch die kommende Zeit für uns Deutsche bringen mag, wir werden, jeder an seinem Platze, bis zum letzten Atemzuge unsere Pflicht tun und kämpfen:

Mit Gott für Kaiser und Reich!

Pötzen, am 3. August 1914.                                                              Peter, Lehrer.

 [S. 51-53]

Von der Mobilmachung bis zum 1. Januar 1916

1 Jahr und 5 Monate sind verflossen, seitdem ich vorstehendes geschrieben habe. Kaum konnte ich es damals glauben, daß ich noch einmal die Feder in diesem Buche ansetzen konnte. 1 Jahr und 5 Monate schwere Zeit liegt hinter uns, und noch immer tobt der Weltkrieg, noch immer müssen unsere tapferen Krieger draußen an allen Fronten kämpfen und bluten […]

  Es kann nun nicht meine Aufgabe sei, hier die Ereignisse auf den Kriegsschauplätzen in der vergangenen Zeit zu schildern, die kennt wohl jeder, oder kann sie in Geschichtsbüchern nachlesen. Ich will nur versuchen, so gut es mir möglich ist, zu erzählen, in welcher Weise durch den Krieg

die Gemeinde Pötzen und ihre Schule

in Mitleidenschaft gezogen wurde, und was sich mit Bezug auf den Krieg überhaupt hier in unserer engeren Heimat ereignet hat. […]

  Ich selbst wurde am 6. August 1914 zur 5. Kompanie des Res. Inf. Regts. 77 eingezogen, dessen 2. Bataillon in Hameln zusammengestellt wurde. Am 9. August fuhren wir mit der Bahn aus Hameln fort und stiegen in der Nähe von Aachen am 10. August aus. Von da aus machte ich den Marsch durch Belgien nach Nordfrankreich mit und nahm dann an dem Stellungskriege in Frankreich teil. […] 

Am 9. März 1915 wurde ich durch einen Schuß durch den rechten Hoden und den rechten Oberschenkel schwer verwundet und war von da ab bis zum 23. September 1915 in Lazarettbehandlung und zwar im Res. Lazarett I. in Saarbrücken, im Vereinslazarett Hess. Oldendorf, das im Ratskeller daselbst eingerichtet war und im Genesungsheim zu Fischbeck im dortigen adligen Damenstift. […]

Laut Verfügung des stellvertretenden Generalkommandos X. A.K. [10. Armee-Korps] vom 31.12.15 bin ich bis 1917 nur garnisonsverwendungsfähig, auch ist mir auf Grund von Kriegs-Dienstbeschädigung eine monatliche Rente von 30 M zuerkannt. 

So bin ich nun seit einigen Wochen wieder hier in meinem Amte, das ich nach Kriegsausbruch verlassen mußte.

 [S. 53-56]

 

Der Abschied.

Einige Tage nach der Mobilmachung, am Abend des 4. August 1914, fand hier in Pötzen auf offener Straße vor dem Hause Steinbrink Nr 27 eine Abschiedsfeier der Gemeinde statt. Es wurde zunächst das Lied: „Ein feste Burg“ gesungen, worauf ich eine längere Ansprache hielt, die mit dem Gelübde schloß, auszuhalten bis zum ehrenvollen Frieden, worauf das Kaiserhoch und die Nationalhymne ertönte. [„Heil dir im Siegerkranz“] Dann nahm ich von jedem Schulkinde einzeln Abschied. 

  Am anderen Tage (Mittwoch den 5. August) war ein von Sr. Majestät angesetzter allgemeiner Buß- und Bettag, und alles strömte nach Fischbeck zur Kirche. An diesem Tage eilten auch die jungen Reservisten zu den Fahnen. Sie stellten sich alle in Hameln beim Bezirks-Kommando und kamen fast alle zum Inf. Regt. 164. 

  Herr Gastwirt Brandt ließ es sich nicht nehmen, die jungen Leute mit seinem Gespann nach Hameln zu bringen. Am nächsten Tage brachte er auch mich, als einzigen Landwehrmann I. Aufgebots aus Pötzen nach Hameln, während am Freitag  eine ganze Reihe Landwehrleute II. Aufgebots folgten. Bald darauf wurden dann die ungedienten Ersatz-Reservisten und später der ungediente Landsturm eingezogen, ausgebildet und ins Feld geschickt. 

[S. 56 - 57]

Bis heute sind im ganzen 59 Männer aus Pötzen eingezogen. Davon werden noch in den Garnisonen 9 Mann, die zuletzt  eingezogen sind, ausgebildet und 3 alte sind bei Landsturm- oder anderen Formationen in der Heimat geblieben. 

Von den übrigen 47 Mann hat schon die für das kleine Pötzen erschreckend große Zahl von 10 Mann fürs Vaterland 

den Heldentod gefunden.  

Ihre Namen sind:

1. Christian Wente, Sohn des Webers Christian Wente, Nr 33., geb. am 22. Sept. 1887, war Tischler und unverheiratet. Er hatte sich im Hause seiner Eltern eine eigene Werkstatt eingerichtet. Er war stets ein stiller, ruhiger, solider und verträglicher Mann. Am 5. August 1914 als Reservist zur 8. Komp. des Inf. Regts. 164 eingezogen, fiel er im Alter von 27 Jahren am 22. August 1914 in der Schlacht bei Namur.

2. Heinrich Requardt, Sohn des Hausschlachters Heinrich Requardt Nr. 64, geb. am 12. Februar 1887 war unverheiratet und arbeitete im Sommer im Süntelsteinbruch, während er im Winter seinem Vater beim Schlachten half. Lebenslustig und freundlich gegen jedermann, war er bei allen beliebt. Auch er war am 5. August 1914 als Reservist bei der 8. Komp. des Inf. Regts. 164  eingezogen und wurde ebenfalls am 22. August 1914 bei Namur schwer verwundet. Zwei Tage drauf starb er im Alter von 27 Jahren im Feldlazarett Nr. 5 zu Roselies.

3. Heinrich Budde, Sohn des Schuhmachermeisters Heinr. Budde Nr. 37, geb. am 12. August 1892 war als Knecht lange Jahre bei Schütte Nr. 5 hierselbst und zuletzt bei Heinemeier in Fischbeck gewesen. Er zeichnete sich stets durch Fleiß und Sparsamkeit aus. Bei Ausbruch des Krieges diente er gerade aktiv bei der 1. Komp. des Inf. Regts. 164, mit der er auch ins Feld zog. Bei den Rückzugsgefechten an der Marne fand er am 9. September 1914 im Alter von 22 Jahren den Heldentod.

4. Heinrich Wilkening, Sohn des Maurers August Wilkening Nr. 15, geb. am 29. Oktober 1892 arbeitete als tüchtiger Maurergeselle wie sein Vater bei Maurermeister Krüger in Fischbeck. Er, den ich als ersten und obersten Schüler der hiesigen Schule gehabt habe, war immer ein freundlicher, liebenswürdiger fleißiger, nüchtener, braver junger Mann und einziger hoffnungsvoller Sohn seiner Eltern, die ihn nicht vergessen können. Auch er diente bei Ausbruch des Krieges aktiv im zweiten Jahr bei der 3. Komp. des Inf. Regts. 164. Daß er auch bei seinen Vorgesetzten angesehen war, zeigt, daß er nach seinem ersten Jahr zum Gefreiten ernannt und bei der Mobilmachung zum Unteroffizier vorgeschlagen wurde. Er soll ebenfalls am 9. Sept. 1914 bei den Rückzugsgefechten an der Marne schwer verwundet sein und am nächsten Tage im Alter von 22 Jahren in französischer Gefangenschaft in Lachy (Marne) gestorben sein. Bestimmte amtliche Nachricht haben seine Eltern allerdings bis heute noch nicht erhalten. [eingefügt:] Jetzt Nachricht gekommen.

5. Friedrich Nagel Nr. 27, gebürtig aus Haddessen von Nagel Nr. 3, hatte erst einige Wochen vor Kriegsausbruch Friederike Steinbrink, die Tochter des Landwirts Karl Steinbrink Nr. 27 von hier geheiratet und war nach hier verzogen. Auch er war wie Heinrich Wilkening wegen seiner Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit und wegen seines Fleißes von allen, die ihn kannten, geliebt und geachtet. Er kämpfte in der 8. Komp. des Inf. Regts. 164 und soll am 16. September 1914 jedenfalls in der Nähe von Reims den Heldentod gefunden haben. Auch seine Angehörigen haben keine bestimmte amtliche Nachricht erhalten.

6. Heinrich Meier Nr. 36 war verheiratet und hinterläßt eine Witwe mit 3 Kindern und alte Eltern. Er war in den letzten Jahren selten zu Hause, da er meistens in Düsseldorf arbeitete, von wo aus er auch bei der Mobilmachung zum Inf. Regt. 158 einberufen wurde. Er ist am 11. Dezember 1914 gefallen.

7. Heinrich Schulte, Sohn des Webers Heinrich Schulte Nr. 62, geb. am 7. Mai 1888 ließ sich einige Tage nach der Mobilmachung noch kriegstrauen. Er arbeitete im Süntelsteinbruch und war ein lieber, angenehmer, ruhiger und fleißiger Mensch. Am 5. August 1914 als Reservist zur 8. Komp. des Inf. Regts. 164 eingezogen, kämpfte er zunächst in Frankreich, kam aber dann zu einem neugegründeten Res. Inf. Regiment, mit dem er nach Rußland zog, wo er bei einem Straßenkampfe am 10. Februar 1915 in Kirballen im 27. Lebensjahre gefallen ist. Um ihn trauern neben seinen Eltern, seine junge Witwe mit einem kleinen Kinde, das er nie kennen gelernt hat. 

8. Wilhelm Meier, Sohn des Tischlermeisters Wilh. Meier Nr. 7 1/2, geb. am 1. November 1896 besuchte als ein sehr fleißiger Schüler mit gutem Erfolge das Gymnasium zu Hameln und war wegen seines freundlichen, bescheidenen Wesens in der ganzen Gemeinde geachtet. Bei Kriegsausbruch meldete er sich gleich freiwillig und wurde am 31. August 1914 als Kriegsfreiwilliger bei dem Inf. Regt. 164 eingestellt und nach seiner Ausbildung der 9. Komp. dieses Regiments zugewiesen. Hier brachte er es bald zum Gefreiten, fand dann aber am 24. April 1915 bei den schweren Kämpfen an den Combres-Höhen den Heldentod.

9. Heinrich Renzel Nr. 39 war selbständiger Stellmacher und hatte ein sehr gut gehendes Geschäft. Jeder brachte seine Arbeit gern zu ihm, da er tüchtig, fleißig und sauber arbeitete. Auch in seinem Wesen war er stets freundlich und zuvorkommend gegen jedermann. Am 20. September 1914 als Unteroffizier der Landwehr zum Res. Inf. Regt. 77 eingezogen, kämpfte er mit der 1. Komp. dieses Regts. und fiel im 38. Lebensjahre am 15. Juni 1915 bei La Bassée durch einen Schrappnellschuß in den Kopf. Auf dem Heldenfriedhof der 2. Garde-Reserve-Division in Salome bei La Bassée liegt er begraben. Seine Witwe und sein jetzt 6jähriges Töchterlein können seinen Verlust nicht verschmerzen.

10. Wilhelm Wilkening Nr. 59, geb. am 11. Februar 1885, war seit einigen Jahren verheiratet. Er war Weber und Arbeiter. Über sein Wesen kann ich nur Gutes sagen. Vor allen Dingen war er fleißig, nüchtern und sparsam. Als ungedienter Landsturm wurde er vom 4. Mai 1915 zum Res. Inf. Regt. 78 eingezogen. Nach seiner Ausbildung kam er zur 10. Komp. des Inf. Regts. 37 nach Rußland und ist dort im 31. Lebensjahr am 30. September 1915 gefallen. Auch ihn betrauern neben seinen Eltern seine Witwe und ein Kind.

Durch diese für Pötzen große Menge, die bis jetzt schon ihr Herzblut vergossen hat, wurden viele Familien in unserer Gemeinde in tiefe Trauer versetzt. Die ganze Gemeinde wird ihrer aber stets in Ehren gedenken. […]

[S. 57 - 63]

 

Die landwirtschaftlichen Arbeiten

schienen bald nach Ausbruchdes Krieges ganz zu stocken. Wurden doch außer den vielen Männern, die aus Pötzen fortmußten, noch in mehreren Pferdemusterungen 18 Pferde aus unserer  Gemeinde genommen. Doch dadurch, daß alles mit zugriff und von den Zurückgebliebenen einer dem anderen treu und fleißig half, wurde alles Korn unter Dach und Fach gebracht und auch die Aussaat wie in den Jahren vorher vollzogen. Ebenso wurden auch im Jahre 1915 alle landwirtschaftlichen Arbeiten zur rechten Zeit erledigt. Gleich zu Beginn des Krieges setzte in unserer Heimat eine

rege Liebestätigkeit 

ein, um die durch den Krieg hervorgerufene Not soviel wie möglich zu lindern.

Das rote Kreuz entfaltete seine Tätigkeit auf dem Gebiete der Verwundetenfürsorge. Zweigvereine des Vaterländischen Frauenvereins, der sowohl den Verwundeten, wie den im Felde stehenden Kriegern und deren Familien in der Heimat seine reiche Fürsorge zuwendet, wurden in fast jedem Orte gegründet und dem Hauptverein angeschlossen. 

Auch hier in Kirchspiel Fischbeck sind solche Frauenvereine entstanden, deren Hauptleitung in den Händen der Frau Pastor Heermann in Fischbeck liegt. Die Vereine in den einzelnen Orten des Kirchspiels haben wieder ihre eigene Leitung und sie sorgen hauptsächlich für die aus der betreffenden Gemeinde im Felde stehenden Krieger, sowie für deren Familien. Der Frauenverein in Pötzen hat 35 Mitglieder. Vorsitzende ist Frau Lehrer Marie Peter und weiter gehören dem Vorstande an Frau Bürgermeister Minna Dohme Nr. 24 und Frau Minna Heinemeier Nr. 1. Der Verein hat sehr oft an sämtliche Pötzer Krieger Pakete, besonders mit Wollsachen ins Feld geschickt und besonders an den Weihnachtsfesten schöne große Pakete mit reichem Inhalt zusammengestellt. Dann erhielten auch die Angehörigen unserer Krieger nützliche Geschenke. 

Sehr fleißig beteiligten sich auch die Schulkinder an diesen Arbeiten, und sie schickten auch selbst eine Anzahl Pakete ins Feld. Am Geburtstage der Kaiserin sammelte der hiesige Frauenverein in der Gemeinde zwei große Waschkörbe voll Eingemachtes, Fruchtsäfte, sowie Wurst und Speck zur Verteilung an die Lazarette und zum Genesungsheim nach Fischbeck (Stift) wurde ein großer zweispänniger Wagen voll Garten- und Feldfrüchte gebracht. 

Es ist schade, daß jetzt, nachdem der Krieg schon fast 1 1/2 Jahre gedauert hat, das Interesse am Frauenverein nachgelassen hat.

In den einzelnen Amtsbezirken entstanden auch Männervereine vom roten Kreuz, die auch denselben guten Zwecken dienten. Dem Männerverein, der in Hess. Oldendorf seinen Sitz hat, gehören auch viele Mitglieder aus unserer Gemeinde an. Zu allen diesen Vereinigungen und noch zu einer großen Anzahl anderer Sammlungen gibt jeder soviel in seinen Kräften steht reichlich und gern. […] 

Auch der Staat unterstützt die Witwen und Waisen der Gefallenen, sowie die Familien der im Felde stehenden Krieger gut. Jede Witwe erhält eine jährliche Rente von 400 M und für jedes Kind nochmals eine bestimmte Summe. Die Frauen der im Felde Stehenden erhalten eine monatliche Unterstützung von 12 M und für jedes Kind 6 M.

Um auf andere Weise Geld zusammenzubringen, wurde im Frühjahr 1915 in einzelnen Städten damit begonnen, in hölzerne Standbilder usw. Nägel einzuschlagen. Jeder konnte Nägel einschlagen und mußte dafür bestimmte Beträge entrichten. So entstand in Berlin der „eiserne Hindenburg“, in Hamburg der „eiserne Roland“ usw. Meistens wurden aber eiserne Kreuze genagelt. Auf Anregung des Herrn Pastor Heermann in Fischbeck wurde in den Weihnachtstagen 1915 in der Kirche zu Fischbeck mit der

Nagelung eines eisernen Kreuzes

begonnen. Es kommen dabei eiserne Nägel zu 50 Pf, kleine silberne zu 1 M und große silberne zu 2 M zur Verwendung. Jeder, der an der Nagelung teilnimmt, erhält darüber eine Urkunde und trägt seinen Namen in ein Stammbuch ein, das für immer bei den Kirchenakten bleibt. Auch unsere Schule zu Pötzen stiftete zur Nagelung 36 M und jedes Schulkind schlug einen silbernen Nagel in das Kreuz ein. Die darüber ausgestellte Urkunde ist hierunter eingeklebt. 

[S. 63-66]

 

Unsere Ernährung in der Kriegszeit.

  Unsere Feinde, besonders die Engländer, hatten von Beginn des Krieges an es darauf abgesehen, dadurch daß sie unsere Handelsschiffahrt lahm legten, die Einfuhr von Korn und anderen wichtigen Nahrungsmitteln zu verhindern und unser ganzes Volk auf diese Weise auszuhungern, um uns zum Frieden zu zwingen. Aber damit haben unsere Feinde kein Glück gehabt. Wohl erhalten wir vom Auslande fast garnichts mehr, aber durch großzügige Einrichtungen, die unsere Regierung getroffen hat, ist es dazu gekommen, daß wir an dem, was in unserem eigenen Lande wächst, genug haben und daß jeder leben kann. 

  Besonders wichtig ist dabei die Versorgung mit Brot. Sämtliches Korn wurde beschlagnahmt, und jede Person erhält per Tag 1/2 Pfd Brot. Auf dem Lande wird das dadurch erreicht, daß jeder, der selbst Korn hat, davon nur soviel behält, wie er zur Versorgung seines Haushaltes für ein Jahr (pro Kopf und Tag 1/2 Pfund Brot gerechnet) nötig hat. Wer Pferde hat, darf für jedes Pferd jeden Tag 3 Pfund Hafer füttern. Sämtliches andere Korn ist beschlagnahmt worden und muß an den Staat abgeliefert werden, damit auch der große Teil des Volkes, der nicht Landwirtschaft betreibt, Brot zu essen hat. Wer nicht selbst Korn hat, erhält für seine Familie ein sogenanntes Brotbuch mit Brotmarken, wie eine solche hier eingeklebt ist. 

  Der Bäcker darf nur gegen Brotmarken Brot verkaufen. Dabei muß jeder mit einer bestimmten Anzahl Brotmarken nur bestimmte Zeit auskommen, sodaß auf jede Person per Tag 1/2 Pfund Brot fällt. Brotkorn darf unter keinen Umständen zum Viehfutter verschrotet oder auf andere Weise verfüttert werden. Wer von den eifrig danach ausspähenden Gendarmen dabei ertappt wird, wird sehr schwer bestraft. Um mehr Brot zu erhalten, muß nach einer Verfügung beim Brotbacken dem Roggenmehl ein bestimmter Prozentsatz Kartoffelmehl zugesetzt werden. Es entsteht dann das sogenannte K.-Brot. Ebenso sind beim Backen von Weißbrot besonders strenge Vorschriften. 

  Dadurch, daß wir aus dem Auslande keine Lebensmittel mehr erhalten, sind dieselben sehr teuer geworden, so, um einiges auszuführen, kostet das Liter Öl, das man früher für etwa 80 Pf kaufte, jetzt 5 M, 1 Pfd Butter früher 1,20 M, jetzt 2,40 M, dabei ist fast keine zu bekommen, 1 Pfd Reis früher 25 Pf jetzt 1 M, Seife früher 30 Pf jetzt 1,20 M und so sind alle Lebensmittel so furchtbar gestiegen. Petroleum wird jedem Haushalt zugeteilt per Monat etwa 1 Liter. Es ist gut, daß wir elektrisches Licht haben. 

  Da nicht mehr viel Vieh gefüttert werden kann, ist das Fleisch auch bedeutend teurer geworden und besonders Fett fast gar nicht zu bekommen. Wenn die Schweine früher 60 M für 100 Pfund Lebendgewicht kosteten, so nannte man das teuer, jetzt sind schon 140 M dafür gezahlt. Um Fleisch und Fett zu sparen, ist bestimmt, daß zwei Tagen der Woche kein Schlachter Fleisch verkaufen darf und an zwei anderen Tagen in keiner Wirtschaft oder sonstigen Speiseanstalt mit Fett zubereitete Speisen verabfolgt werden dürfen. Es wird gewünscht, daß diese Tage auch von den Privathaushaltungen innegehalten werden. Es sind das die sogenannten „fleisch- und fettlosen Tage“.

[An den Rand schrieb Peter drei Jahre später die dann gültigen, enorm gestiegenen Preise:]

N.B. Zur Vergleichung einige Lebensmittelpreise im Frühjahr 1919.

Es kostet:

1 l Öl: 20 M

Butter ist Höchstpreis 4,50 M, wird unter Umgehung des gesetzten Höchstpreises mit 20 M bezahlt. Reis u. Seife gibts nicht mehr. Seife kochen jetzt die Haushaltungen selbst. Wollgarn gibts im Handel nicht. Rauhe, harte, leicht zerreißbare Kriegswolle (Ersatz) kostet per Pfund 40 M. Schafwolle wie sie vom Schafe geschoren ist, kann man, wenn man Glück hat, im Schleichhandel gegen große Posten Lebensmittel (Fettigkeiten) erhalten. 

Überhaupt hat sich nach u. nach eine neue Geldwährung eingebürgert. In der Stadt kann man fast nichts kaufen für bar Geld, sondern fast nur gegen Butter, Speck, Eier, Wurst usw. 1 Ei kostet jetzt 60-80 Pf. Ein 6 Wochen altes Ferkel bis 100 M und mehr.

  Auch der Preis für Wolle ist ungeheuer gestiegen, sodaß das Stricken von Strümpfen für unser feldgrauen Krieger fast unmöglich ist. Kostet doch 1 Pfund Strumpfgarn, das man früher für 3 M kaufte, jetzt 9 M. Außerdem ist jetzt auch sämtliche vorhandene Wolle beschlagnahmt. Der Staat hat aber für fast sämtliche Lebensmittel Höchstpreise festgesetzt, damit kein Wucher betrieben wird. Wer diese Preise überschreitet, wird schwer bestraft und dessen Geschäft wird unnachsichtlich sofort geschlossen. 

  Der Kleinverkauf von Spirituosen ist ganz verboten. Alle die vielen gesetzlichen Bestimmungen über Einschränkungen im Verbrauch von Korn, Fleisch, Fett usw. sind aber auch dringend notwendig, damit den Englämdern ihr schändlicher Aushungerungsplan nicht gelingt und wir nicht deshalb einen vorzeitigen faulen Frieden zu schließen genötigt sind, sondern damit wir durchhalten können bis zum ehrenvollen Frieden. Die größte Menge der Bevölkerung sieht das auch ein und achtet auf die Erfüllung der gesetzlichen Bestimmungen. Wer dagegen glaubt, sie unberücksichtigt lassen zu können, verfällt in sehr schwere Strafen.

  Um das nötige Metall zur Herstellung von Granaten und Geschossen zu haben, sind sämtliche im Lande vorhandenen Gegenstände aus Kupfer, Messing und Reinnickel (besonders kupf. Kessel usw.) beschlagnahmt und müssen abgeliefert werden. 

  In letzter Zeit waren von Aufkäufern die dicken Walnußbäume hier am Orte für sehr viel Geld (80 M - 100 M pro Festmeter) aufgekauft worden und alle Bäume wurden umgemacht. Jetzt sind vom Staat sämtliche Walnußbäume mit einem Mindestumfang von 100 cm beschlagnahmt und sie müssen an die Heeresverwaltung für 60 M pro Festmeter abgegeben werden.

 

Der Schulbetrieb in der Kriegszeit

  hat natürlich sehr gelitten, wurde doch nur hier in Pötzen an 3 Tagen wöchentlich unterrichtet. Auch wurde, wenn angängig, in allen Fächern auf den Krieg der Gegenwart Bezug genommen, und in den Weltgeschichtsstunden wurde nur über diesen gesprochen. An den Wänden hängen die Karten der Kriegsschauplätze im Westen, im Osten, im Süden, der Orient und die Karte des Balkankriegsschauplatzes. Kleine Fähnchen den Landesfarben bezeichnen die jeweiligen Stellungen der Truppen. Über Neuanschaffungen in der hiesigen Schule ist nur zu berichten, daß im Herbst an Stelle des alten, schon lange gebrechlichen Ofens im Schulzimmer ein neuer großer Füllofen aufgestellt wurde.

Pötzen, am 2. Januar 1916 Peter, Lehrer

[S. 66 - 70]

Vom 1. Januar 1916 bis 31. März 1919.

  Wieder sind seit der letzten Eintragung in dieses Buch Jahre verflossen. Die Lebensbedingungen sind immer härter geworden. Ohne Lebenmittelkarten und Bezugschein ist nichts mehr zu haben, und die auf die einzelnen Familien entfallenden Mengen an Lebensmitteln sind äußerst gering. Besonders hart sind die Familien in den Städten davon betroffen. […]

  Durch diese Bewirtschaftung aller Lebensmittel entstand das sog. „Hamsterwesen“ und der „Kriegswucher“, d.h. unter Umgehung der Verordnungen mehr Lebensmittel zu erhalten als dem Einzelnen zustehen. Dafür werden dann ungeheure Wucherpreise bezahlt, mitunter das 50 bis 100fache des Friedenspreises. Die sog. „kleinen Hamsterer“ aus den Großstädten, besonders aus dem rheinisch-westfälischen Industriebezirk überschwemmen tagtäglich in Mengen die Dörfer unserer Gegend. Die einzelnen Leute gehen von Haus zu Haus und kaufen oder betteln einige Kartoffeln, etwas Brot, Fettigkeiten oder ein Ei. 

  Diese Spekulation auf das Mitleid der Landleute ist nie vergeblich. Stets reisen diese Leute schwerbepackt wieder heim. Solange diese Vorräte dann im eigenen Haushalte verwandt werden, ist nichts dagegen zu sagen. Viele machen daraus aber einen Erwerbszweig. Sie sind täglich unterwegs, kaufen die Sachen sehr billig ein oder erhalten sie vielfach geschenkt, um sie dann in ihrer Heimat zu ungeheuren Wucherpreisen wieder loszuschlagen. Diesem Wucherwesen wird mit aller Strenge von der Regierung entgegengetreten.

[Revolution von 1918]

  Da man nun auch bei der Regierung einsah, daß die Unzufriedenheit im Lande immer größer wurde und auch auf das Heer überzugreifen drohte, wurde von Reichskanzler Prinz Max von Baden den Feinden ein Friedensangebot gemacht, in dem man sich den bekannten 14 Bedingungen des amerikanischen Präsidenten Wilson unterwarf. 

  Die Verhandlungen zogen sich aber sehr in die Länge, die Unzufriedenheit im Lande stieg immer mehr, und es kam am 9. November 1918 zum Ausbruch der Revolution. Die Monarchie in Deutschland wurde gestürzt, und der letzte deutsche Kaiser Wilhelm II. zur Abdankung gezwungen. Damit hatte die über 500jährige Herrschaft der Hohenzollern in Deutschland, die unser Vaterland zu Macht und Ansehen gebracht hatte, ein Ende erreicht. Auch alle anderen Bundesfürsten dankten ab, und es gab von jetzt ab nur freie Volksstaaten oder Republiken unter sozialistischer Regierung. 

  Arbeiter- und Soldatenräte rissen zunächst die Macht an sich, bis das ganze Volk in der Wahl zur deutschen Nationalversammlung den Grundstock einer neuen Regierung legte.

  Am 11. November 1918 mußten wir dann notgedrungen die überaus harten Waffenstillstandsbedingungen unserer Feinde annehmen. Jeden Monat wurden diese Bedingungen erneuert und verschärft. Aber Ruhe bekam unser armes geplagtes Vaterland nun nicht. Die neue Regierung unter dem ersten Reichspräsidenten Ebert hat hart zu kämpfen gegen die ganz Radikalen, gegen die Unabhängigen, die Spartakisten, Kommunisten und Bolschewisten, die die Gewalt an sich reißen und unser Land ganz den Untergange entgegenführen wollen.

Besonders hart wurde gekämpft in Berlin, Hamburg, Bremen, Magdeburg, München und dem Ruhrkohlenrevier. 

  Solche Kämpfe und große Streiks sind an der Tagesordnung. Dazu kommen von Osten die Polen, die große Strecken deutschen Landes haben wollen, und ein starkes Heer gibt es in Deutschland nicht mehr. Man kann ihnen nur einzelne in Bildung begriffene Freiwilligenkorps entgegenstellen. So sieht es zur Zeit im Vaterlande sehr traurig aus.

 [S. 71 - 72]

Die Gemeinde während der letzten Kriegsjahre. 

  Die letzten Jahre des Krieges haben auch in unserer Gemeinde noch neue Opfer gefordert. Im ganzen waren aus Pötzen zum Heeresdienst eingezogen 77 Mann. Davon haben außer den bereits angeführten 10 Kriegern noch folgende 8, im ganzen also 18 Kriegsteilnehmer

den Heldentod gefunden:

11. Friedrich Schulte, dritter Sohn des Webers Heinrich Schulte Nr. 62 […]

12. Karl Fischer, ältester Sohn des Webers Karl Fischer Nr. 41 […]

13. August Schulte, zweitjüngster Sohn des Landwirts Wilhelm Schulte Nr. 40 […]

14. Heinrich Krückeberg, Sohn des Landwirts Wilhelm Krückeberg Nr. 70 […]

15. Wilh. Wilmer, Sohn des verstorbenen Wilh. Wilmer von Nr. 29 […]

16. Wilhelm Feldmann, jüngster Sohn der Witwe Karoline Feldmann Nr. 16 […]

17. Heinrich Schulte, jüngster Sohn des Webers Wilhelm Schulte Nr. 51 […]

18. Friedrich Buddensiek, jüngster Sohn des Webers Heinrich Buddensiek Nr. 28 […]

  18 brave, tapfere Männer haben ihre Treue zum Vaterland mit ihrem Heldentode besiegeln müssen. Eine erschreckend große Zahl im Verhältnis zu der geringen Einwohnerzahl unserer Gemeinde. Ein treues Gedenken sei ihnen in der Gemeinde gesichert!

 […] [S. 72 - 73]

 

Von den sich im Reiche im Monat November 1918 vollziehenden Umwälzungen hat man in unserer Gemeinde wenig gemerkt. Das Leben ging im großen und ganzen seinen gewohnten ruhigen Gang weiter. Auf Anregung des Herrn Landrat in Rinteln wurden auch hier in Pötzen, wie in allen Landgemeinden des Kreises Arbeiter- und Soldatenräte gewählt. Dadurch wurde aber die bisherige Verwaltung der Gemeinde in keiner Weise beeinträchtigt.

Im Laufe des Dezember 1918 kamen nach und nach die Krieger in ihre Heimat zurück. Den traurigen Verhältnissen entsprechend und weil unsere Gemeinde so ungeheure Opfer hat bringen müssen und die betroffenen Familien in dieser Zeit aufs Neue an ihre Gefallenen erinnert und dadurch in Trauer versetzt wurden, geschah die Heimkehr der Krieger ohne Sang und Klang. Nur wurde an einem Sonntage in der Kirche zu Fischbeck ein besonderer Gottesdienst zu Ehren der heimgekehrten Krieger gehalten.

Am 19. Januar wurden die Abgeordneten zur deutschen Nationalversammlung und 8 Tage später zur preußischen Landesversammlung gewählt. Zum ersten Male wurde nach dem Verhältniswahlrecht gewählt und zum ersten Male durften alle Männer und Frauen über 20 Jahre wählen. In unserer Gemeinde waren 205 Wahlberechtigte. 181 übten ihr Wahlrecht aus. Davon wählten 92 sozialdemokratisch, und die übrigen 88 Stimmen entfielen auf die bürgerlichen Parteien. 

Am 2. März 1919 wurde zum ersten Male nach der neuen Wahlordnung auch in unserer Gemeinde die Gemeindevertretung neu gewählt. Hierbei wurden folgende Herren gewählt: August Heinemeier Nr. 1, Friedrich Wenkhausen Nr. 3, Friedrich Meier Nr. 7, Heinrich Holste Nr. 8, Heinrich Röbbecke jun. Nr. 61, Heinrich Schulte Nr. 62, Wilhelm Witte Nr. 65, Friedrich Nagel Nr. 38 und Friedrich Meier Nr. 42.

[S. 74]

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ca. 1920-1923

Unsere Schule während der letzten Kriegsjahre.

  Der Schulbetrieb hatte in den letzten Jahren sehr unter dem Kriege zu leiden. Dauernd war ein großer Teil der Schulkinder zu landwirtschaftlichen Arbeiten beurlaubt. Ein großer Teil der Schulzeit wurde zur Sammeltätigkeit verwandt. Auch beteiligte sich die Schule sehr gut an den verschiedenen Kriegsanleihen. Im ganzen sind durch die Schulkinder durch kleine Beträge 6000 M an Kriegsanleihe eingezahlt worden. 

  Ein großer Posten Sammelgut ist von unserer Schule im Laufe der Zeit abgeliefert worden. Gesammelt wurden besonders Metalle wie Kupfer, Messing, Zinn, Aluminium, ferner eine große Anzahl Heil- und Arzneikräuter. Zur Fasergewinnung lieferte unsere Schule mehrere Zentner getrocknete Brennesselstengel ab. An anderen Gegenständen wurden noch gesammelt und abgeliefert: Eicheln, Bucheckern, Kastanien, Flaschen, Glühbirnensockel, ausgekämmtes Frauenhaar, Lederabfälle, Knochen und manches andere. 

  Im Sommer 1918 wurde über die Hälfte der Schulzeit  zum Laubsammeln benützt. Dieses grüne von Bäumen und Büschen gestreifte Laub wurde zu Laubheu getrocknet und abgeliefert. Nach weiterer Verarbeitung sollte es als Pferdefutter dienen. 

  Daß durch alle diese Arbeiten die eigentliche Schularbeit sehr vernachlässigt wurde und die Schule sehr zurück kam, ist leicht erklärlich. Dazu kam noch manches andere. Im Sommer 1918, als überall in Deutschland die Kriegsseuche, die Grippe, herrschte, blieb auch unsere Gemeinde davon nicht verschont. Ständig fehlte ein großer Teil der Schüler und mehrere Wochen lang mußte der Unterricht ganz ausgesetzt werden. An den Folgen der Grippe starb am 29. Oktober 1918 die 13 jährige Schülerin Lina Holste, älteste Tochter der Witwe Holste Nr. 17. 

  Sehr stark litt die Schule auch darunter, daß ich selbst, der hiesige Stelleninhaber, am 24. Mai 1918 zum zweitenmal zum Heeresdienst eingezogen wurde. Ich kam zum I. Ers. Batl. des Inf. Regts. 78 in Osnabrück, wo ich bis zur Demobilmachung blieb und am 3. Dezembrer 1918 wieder entlassen wurde. Während dieser Zeit besuchten die hiesigen Schulkinder die Schule zu Haddessen und wurden dort wöchentlich an drei Tagen gemeinsam mit den Schulkindern aus Haddessen und Höfingen durch Herrn Lehrer Andermann in Haddessen unterrichtet. Außerdem hatte Herr Andermann an drei Tagen auch noch die Schulstelle in Bensen zu versehen. Er hatte im ganzen also etwa 250 Schulkinder zu unterrichten. Vom 9. Dez. 1918 ab konnte ich selbst den Unterricht wieder aufnehmen. Das Schuljahr 1918/19 endete am 31. März 1919.

 [S. 74-75]

  Der Krieg ist zu Ende. Nach fast 4 1/2 jährigem mörderischen Ringen ruhen nun die Waffen, und hoffentlich wird auch der Friede bald folgen. Gegen eine gewaltige Übermacht von Feinden haben unsere Truppen draußen standgehalten und können auch jetzt nicht als besiegt gelten. Nur der Zusammenbruch im Innern unseres Vaterlandes zwang uns, die schmachvollen Waffenstillstandsbedingungen anzunehmen. Zerschmettert liegt unser schönes Vaterland am Boden und sinkt durch die fortwährenden Unruhen immer tiefer, sodaß gegenwärtig fast keine Aussicht vorhanden ist, daß es sich jemals wieder erholen könnte. Aber trotzdem geben die treuen Vaterlandsfreunde die Hoffnung nicht auf, daß doch noch einmal aus den Ruinen der gegenwärtigen Zeit wieder ein einiges, großes, herrliches Deutschland erstehen möge.

Pötzen, am 31. März 1919 Peter, Lehrer.

[S. 75]

*) Dass die „Schul- und Dorfchronik Pötzen“, die 1872 begonnen wurde, heute noch gelesen werden kann, ist vor allem das Verdienst einiger engagierter Pötzer Bürger. Im Vorfeld der 750-Jahr-Feier des Dorfes Pötzen 1987 machten sich Schneidermeister und Posthalter Helmut Henze und Realschullehrer Jürgen Faber auf die Suche nach der „verschollenen“ Chronik und spürten sie auf. Nachdem die Stadtverwaltung Hessisch Oldendorf die Bedeutung des Projektes erkannt und seine Finanzierung übernommen hatte, führte Buchbindermeister Brüggemann in Hameln die Restaurierung der alten Bände perfekt aus. Faber und Henze fertigten mehrere Kopien an und Lars Schulte, ein ebenfalls historisch interessierter junger Mann aus dem Dorf, scannte sämliche Seiten und machte sie auf der Internetseite des Pötzer Schützenvereins der Öffentlichkeit zugänglich:  http://www.sv-poetzen.de/chronik-poetzen-web/index.html

Das Original und einige Kopien befinden sich im Niedersächsischen Landesarchiv Bückeburg (NLA BU, Dep. 59)