Hessisch Oldendorf
Der jüdische Friedhof und die Juden von Oldendorf (4)
Grab D6 gehört
Meyer Blumenthal, gestorben 1927.
Er war ein Sohn von Baruch Blumenthal, Viehhändler und bei seinem Tod mit 94 Jahren der älteste Bürger Oldendorfs.
Auch von seinen Nachfahren können die meisten hier nicht ruhen.
In der NS-Zeit war der Grabstein zerschlagen worden. Meyers Enkelin Lieselotte ließ ihn 1958 reparieren, er trägt noch die Spuren.
Meyer Blumenthal, seinerzeit ältester Einwohner Hessisch Oldendorfs (Foto: Sammlung B. Gelderblom, Hameln)
Lieselotte Southam, geborene Blumenthal, war aus England zu Besuch gekommen, wohin sie 1939 fliehen konnte.
Vater David war Viehhändler, Mutter Lina hatte einen kleinen Schuhverkauf.
Lieselotte kam nach dem Krieg mehrmals in ihre Heimat und hat noch Mitte der 90er Jahre sehr eindrücklich von der Vergangenheit erzählt.
Sie erinnerte sich an eine schöne und unbeschwerte Kindheit in dieser Stadt.
Aber sie erinnerte sich auch an die Aufmärsche der SA und SS. Immer wenn die braunen oder schwarzen Gestalten an ihrem Haus, gegenüber der Gaststätte Heitz, vorbeikamen, sangen sie:
'Wenn’s Judenblut vom Messer spritzt, dann geht’s noch mal so gut!'
"So etwas vergisst man nicht als Kind. Niemals."
Sie berichtete, dass sie die private Mittelschule von Dr. Heinrichs verlassen musste … dass frühere Bekannte die Blumenthals nicht mehr grüßten auf der Straße … dass die Bauern ihrem Vater kein Vieh mehr verkauften … und sie wusste noch die Namen jener, die ihnen die Fenster eingeworfen hatten.
Lieselotte Blumenthal
auf dem Stadtwall, ca. 1925
Nach der Pogromnacht 1938 verkauften die Eltern alles Hab und Gut und zogen nach Bielefeld. Lieselotte bekam eine Einreisegenehmigung als Haushaltshilfe nach England ("domestic permit"), ihr Bruder Erich folgte nach und ging später weiter in die USA.
David und Lina konnten sich nicht zum Auswandern durchringen, und als sie sich doch entschlossen, war es zu spät. Die USA genehmigten ein jährliches Kontingent von 40.000 Einwanderern, und die Wartenummern der Blumenthals kamen nicht an die Reihe.
Ihre Spur endet in Auschwitz.
Ebenfalls ermordet:
Julius und Rosa Blumenthal.
Sie führten ein Weißwarengeschäft in der Langen Straße.
Auch Julius Blumenthal war Mitglied im Kriegerverein gewesen.
Im Weltkrieg hatte er das Verwundetenabzeichen und das EK II erworben.2
Julius und Rosa waren nach Hannover gezogen und wurden von dort ins Getto Riga deportiert.
Tochter Elise (links) konnte in die USA entkommen.
Foto von ca. 1925. Angaben z.T. von L. Southam geb. Blumenthal, England.
Juden haben in dieser Stadt zwischen 1322 und 1942 gelebt, zunächst nur geduldet, in nützlicher Funktion, später voll integriert und angesehen.
Das lange Kapitel Stadtgeschichte endete unter der Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten und ihrer Helfer mit Ächtung, Demütigung, Vertreibung, Deportation, Mord.
2) NLA Bückeburg, Dep. 59 Nr. 1065
Empfehlung zum Weiterlesen:
Bildnachweis:
Grafik: Verfasser.
Fotos, soweit nicht anders angegeben, vom Verfasser oder von Heinrich Krüger sen. oder von Lieselotte Southam, geb. Blumenthal, dem Verfasser überlassen.
Die Deutung vieler Inschriften wäre nicht möglich gewesen ohne die Übersetzungen aus dem Hebräischen von Bernhard Gelderblom, Hameln und Michael Wolfers, London. Wichtige Hinweise kamen von L. Southam, geb. Blumenthal. Das gilt auch für den unten folgenden Anhang.
Zusammenstellung der Bestatteten
Reihe A
1: Meir benYitzhak
gest. 11.03. 1844 (vermutlich Sohn v. Itzig Levi, Bruder v. Peritz Levi u. Simson Levi, also Onkel v. A4)
2: (ungeklärt, vermutlich ein Kind)
3: Aharon ben Meir
gest. 05. ??. 1835 (Aron Meyer Levi aus Fischbeck, Synagogenältester 1827)
4: Baruch ben Shimson Halevi
gest. 04.04. 1835 (Baruch Blumenthal, Metzgermeister u. Kramhändler)
5: Gelle, Weib des Aharon Halevi (Todesjahr unleserlich, Frau von A3)
6: Henriette Nathan
geb. Goldschmidt aus Hamburg, gest. 10. 09. 1830
7: David, Sohn des Mordechai, gest. 23.09. 1846, (Bruder v. B10)
8: Moses, Sohn des Nathan Halevi,
gest. 05.02. 1862 (Moses Lilienfeld, Handlungsdiener, Sohn v. B9, geb. 1825)
9: Emilie Kaiser, geborene Lilienfeld
geb. 12. 05. 1817, gest. ??. 02. 1835 (Tochter v. B9)
Reihe B
1: Friederike Blumenthal, geb. Goldschmidt, Tochter des R. Abraham, gest. 18.01. 1865, im 76. Lebensjahre
2: Joseph Rosenberg
geb. 16. 07. 1800, gest. 02. 07. 1879 (Sohn v. B7, Ehemann v. B4, Geldverleiher, Synagogenältester)
3: Thekla Spanier
geb. 04. 05. 1860, gest. 24. 10. 1878 (vermutl. Tochter v. D1, Schwester v. D2)
4: Johanne Rosenberg, geb. Ising
geb. 02. 02. 1811, gest. 04. 01. 1878 (Ehefrau v. B2)
5: Röschen Blumenthal, geb. Levi, Tochter des R. Jehuda gest. 18.11. 1877 (Tochter v. C11, Schwester v. C10, C3)
6: Friederike Rosenberg
geb. 13. 06. 1812, gest. 26. 10. 1867 (Frau v. Moritz Rosenberg, Kolonialwarenhändler, des Bruders v. B2)
7: Edel Rosenberg, geb. Herz
gest. 22. 03. 1865 im 88. Lebensjahr (Mutter v. B2)
8: J.N. Lilienfeld
geb. 01. 10. 1833, gest. 19. 01. 1863 (Isaak Nathan Lilienfeld, Handlungslehrling, Sohn v. B9)
9: N.P. Lilienfeld
geb. 07. 10. 1793, gest. 15. 04. 1862 (Nathan Peritz Lilienfeld., Kaufmann, Synagogenältester, Vorsteher der Kreisjudenschaft, Ratsherr, Vater v. B8)
10: Jenni Blumenthal, geb. Stein, Tochter des Mordechai Halevi gest. 10.03. 1861 (Schwester v. A7, Tochter v. B11, Ehefrau v. C11)
11: Rivka, Frau des Mordechai,
gest. 29.06. 1841 (Mutter v. B10 u. A7)
12: Marcus Mosessohn
gest. 16. 05. 1855, 72 Jahre alt (Metzger)
13: Levy Lindemeyer
geb. 27. 05. 1801, gest. 19. 01. 1859 (Handlungsdiener, vermutlich Bruder der Ehefrau v. B9)
Reihe C
1: Charlotte Löwenstein, geb. Sachs
geb. 11. 07. 1862, gest. 13. 03. 1934
Hermann Löwenstein
geb. 07.02. 1861, gest. 26. 01. 1927 (Viehhandel)
2: Frieda Blumenthal (Frumet), geb. Gössels, Tochter des Elieser geb. 12. 10. 1880, gest. 06. 09. 1920 (Schwester v. D4)
3: Max Blumenthal (Mordechai Jehuda), Sohn des Simon Halevi Blumenthal
geb. 21. 06. 1853, gest. 21. 08. 1916 (Sohn v. C11 u. B10, Bruder v. C10 u. B5. Getreidehandel. Ehemann der deportierten Julie Bl.)
4: Regine Rosenberg, geb. Joseph
geb. 22. 03. 1855, gest. 22. 09. 1913
Hermann Rosenberg
geb. 15. 05. 1849, gest. 15. 06. 1930 (Sohn v. B2. Lederhandel, Fuhrunternehmen)
5: Arnold Blumenthal, Sohn des Simon Halevi Blumenthal
geb. 07. 03. 1877, gest. 12. 11. 1912 (Produktenhandel. Erster Ehemann v. D4)
6: Gustav Blumenthal (Gerschon), Sohn des Meir Halevi
geb. 20. 08. 1873, gest. 25. 12. 1911 (Sohn v. D6, Bruder v. D5)
7: Erna Löwenstein (Ester), Tochter des Rabbi Naftali Halevi geb. 03. 02. 1902, gest. 22. 01. 1910
8: Rahel Blumenthal, geb. Blank, Tochter des David Blank
geb. 20. 01. 1837, gest. 04. 06. 1906 (Ehefrau v. D6, Mutter v. D5 u. C6)
9: (ohne Stein)
10: Amalie Blumenth., Jungfer Male, Tochter des Jehuda Halevi
geb. 08. 06. 1851, gest. 14. 02. 1902 (Tochter v. C11, Schwester v. C3, B5)
11: Levy Blumenthal (Jehuda), Sohn des R. Baruch ha-Levi
geb. 13. 08. 1818, gest. 21. 03. 1896 (Metzgermeister, Kornhändler. Sohn v. A4, Ehemann v. B10, Vater v. C10, C3, B5, Bruder v. D6)
12: (ohne Stein)
Reihe D
1: Ida Spanier, geborene Steinberg
geb. 25. ??. 1840 ?, gest. 25. ??. 1922 (Kauffrau. Mutter v. D2)
2: Sanitätsrat Dr. Ludwig Spanier geb. 21. 06. 1868, gest. 11.06. 1928
Alexander Spanier geb. 21.06. 1868, gest. 13. 12. 1928 (Söhne v. D1)
3: Adolf Pinkus
geb. 12. 07. 1858, gest. 26. 12. 1927 Johanna Pinkus, geborene Voss geb. 15. 02. 1851, gest. 11. 01. 1929
4: Jettchen Blumenthal geborene Gössels, Tochter des Elieser
geb. 10. 06. 1875, gest. 11.11. 1934 (Schwester von C2, Ehefrau des in Hannover gest. Ferdinand Bl.)
5: Helene Blumenthal, Jungfer Chawe, Tochter des Meier Halevi geb. 29. 11. 1869, gest. 11. 07. 1921 (Tochter v. D6, Schwester v. C6)
6: Meyer Blumenthal, Sohn des Baruch ha-levi
geb. 12. 06. 1833, gest. 08.01. 1927 (Viehhändler. Sohn v. A4, Bruder v. C11, Ehemann v. C8, Vater v. D5 u. C6)
7: (ohne Stein)
8: Teofil Jedrzejcak
geb. 01. 01. 1894, gest. 13. 03. 1944 (Polnischer Zwangsarbeiter)