Hessisch Oldendorf

Der Jüdische Friedhof und die Juden von Oldendorf (2)

 

 

 

 

 

 

 

 

Grab B9 gehört Nathan Peritz Lilienfeld, gestorben 1862.

Er war Kaufmann und sozusagen der Vater dieses Friedhofes, denn als Gemeindeältester hatte er die Kaufverhandlungen mit der Stadt geführt. Auch sonst war er eine heraus ragende Persönlichkeit. Fast 30 Jahre lang bekleidete er die Stellung des Kreisvorstehers sämtlicher Synagogengemeinden im kurhessischen Schaumburg. Als solcher führte er die Aufsicht über die jüdischen Schulen, war Ansprechpartner der Kreisverwaltung in Rinteln und verantwortlich für die Steuerschätzungen, die alle drei Jahre abgegeben werden mussten.

Er war der wohlhabendste Jude der Stadt, besaß drei Häuser und stand auf Platz 11 der höchstbesteuerten Bürger.

1843 erlangte er zum ersten Mal ein kommunales Ehrenamt und wurde zum Mitglied des sechsköpfigen ständigen Bürgerausschusses gewählt.

Im Revolutionsjahr 1848 wurde er sogar Ratsherr der Stadt.

"Rinteln, den 31tn Mai 1848

wurde N. P. Lilienfeld als Mitglied des Stadt-

raths von Oldendorf vorschriftsmäßig beeidigt.

Der Landrath

Steuerberg"

(Quelle: NLA Bückeburg)

Sein Ansehen und seine gesellschaftlichen Verbindungen kommen auch in einem persönlichen Brief des Freiherrn Karl von Münchhausen auf Lauenau zum Ausdruck. Dieser besaß als Erbherr auf Gut Oldendorf Huderechte an diesem Flurstück und genehmigte die Anlegung eines Friedhofes, wie er schrieb: „allein Ihnen zu Gefallen“.

Die liberale Verfassung Kurhessens hatte den bürgerlichen Aufstieg der Juden, der unter Napoleon begonnen hatte, in eingeschränktem Maße weiter zugelassen. Sie wurde aber 1852 durch eine restriktive Verfassung ersetzt, die es nur Christen erlaubte, öffentliche Ämter zu bekleiden. Folglich verlor Lilienfeld seinen Sitz im Stadtrat.

Zu jener Zeit bestand die jüdische Gemeinde in Oldendorf aus 5 Familien mit 43 Personen.

(Quelle: NLA Bückeburg)

Die Familie Lilienfeld scheint von einem Unglück betroffen worden zu sein. Im Februar 1862 starb der Sohn Moses (Grab A8), im April Nathan Lilienfeld selbst und im Januar darauf sein Sohn Isaak (hier daneben, B8).

Das Handelshaus ging an den Schwiegersohn Wolfes über, der aus Elze hierher zog. Er wurde Zweiter Synagogenältester, verließ aber die Stadt nach zehn Jahren wegen Streitigkeiten mit dem Ersten Synagogenältesten, der das Amt seit fast 30 Jahren innehatte: Joseph Rosenberg.

Hermann Wolfes hatte zusammen mit seiner Frau Sophie Lilienfeld zehn Kinder, also Enkel von Nathan Lilienfeld. Wir heben nur zwei heraus. 

Die in Hessisch Oldendorf geborene Martha, verh. Herzfeld, war nach Köln gezogen. Vor der drohenden Deportation wählte sie dort 1942 den Freitod.

Der in Hannover geborene Richard war Ingenieur und bis 1933 Vorstandsmitglied in mehreren Elektizitätswerken und Industrieunternehmen. 1938 gelang ihm die Auswanderung nach Argentinien. Auch seine drei in Breslau geborenen Kinder, also Urenkel von Lilienfeld fanden ihren Weg nach Argentinien.1 

 

Grab B2 gehört 

Joseph Rosenberg,

gestorben 1879.

Der Oldendorfer Bürgermeister Berger schrieb 1858, dass Joseph Rosenberg ein „vermögender Mann“ sei, der sich „nur damit befasst, seine eigenen Gelder zu verleihen und von dem Ertrage der Zinsen lebt“. Sein Bruder Moritz betrieb ein Manufaktur- und Kolonialwarengeschäft. 

Hinter dem Haus ihres Vaters Moses Jacob (ab 1810 mit Namen „Rosenberg“) befand sich die schon erwähnte erste Synagoge der Oldendorfer Juden. Und ihr Urgroßvater wiederum war der auch schon genannte Jacob Hirsch, der ab 1723 in Oldendorf nachweisbar ist.

Joseph Rosenbergs Sohn Hermann starb kinderlos im Jahre 1930 und liegt mit seiner Frau in Grab C4. 

Somit war die Familie Rosenberg über 200 Jahre in der Stadt ansässig.

Dreißig Jahre lang, wie gesagt, war Joseph Rosenberg Synagogenältester. Gemeinsam mit Kreisvorsteher Lilienfeld kümmerte er sich um die jüdische Schule. Zwischen 1823 und 1874 war ein Lehrer fest angestellt, der aber nur 4 bis 9 Kinder zu unterrichten hatte. Alles war bescheiden, ja ärmlich. Die Schulstube war ein angemieteter Raum in wechselnden Häusern. Das Gehalt des Lehrers war niedrig, 100 bis 150 Taler in Jahr. Deshalb war es immer ein junger Lehramtskandidat, der diese Stelle annahm - und nach bestandener Prüfung sofort wieder verließ. Neben dem Gehalt bekam der Lehrer, wie Rosenberg 1858 schreibt, „freie Wohnung im Schullokale, bestehend in einer möbelierten und zur Winterszeit geheizten Stube, nebst einer Schlafkammer mit einem bereiteten Federbette.“ Einer der Lehrer schreibt allerdings dazu, dass „die Wanzen an den Wänden auf- und ab“ gingen.

 

 

 

 

 

 

 

Grab C3 gehört Max Blumenthal, gestorben 1916.

Er war der Enkel von Baruch Blumenthal (Grab B4) und Kaufmann. Schon sein Vater Levi (C 11) hatte vom Metzger- in den Kaufmannsberuf gewechselt. Max wurde wohlhabend durch den Handel mit Wolle und Getreide, war Mitglied im Bürgerausschuss der Stadt und besaß das große Fachwerkhaus an der Langen Straße gegenüber dem Marktplatz.

Vor dem Hause des Kaufmanns Max Blumenthal, 1908, evtl. mit stehendem Hausherrn.

Sein Bruder Bernhard (typisch jüdische Vornamen werden jetzt kaum noch gewählt) wagte sich nach Übersee und verbrachte einige Jahre in der niederländischen Kolonie Sumatra als Verwalter einer Tabakplantage. Von ihm haben sich Briefe erhalten, die zeigen, dass zwischen den damaligen Oldendorfer Geschäftsleuten, egal ob Jude oder Christ, ein gutes Verhältnis herrschte. So holte er seinen Freund, den Oldendorfer Geschäftsmann Carl Krebs nach - und dieser später seinen Bruder Oskar. Beide wurden wohlhabend; Oskar Krebs spendete seiner Heimatstadt den Grundstock für eine Stadtbibliothek. Der große geschnitzte Schrank steht im Oldendorfer Rathaus vor dem Bürgermeisterzimmer.

 

 

 

 

 

Baruch Bernhard Blumenthal, 1849-1920 (Foto: Sammlung B. Gelderblom, Hameln) 

Mit dem in Sumatra verdienten Geld machte Bernhard Blumenthal in Herford eine Bürstenfabrik auf. Nachkommen leben heute in Israel.


Die Hälfte dieses Doppelgrabes ist leer.

Max Blumenthals Witwe Julie hatte weiter in dem großen Haus gelebt, floh aber 1938 vor dem Nazi-Terror zu Verwandten nach Wuppertal. Viele Juden glaubten, es in der Anonymität einer größeren Stadt besser aushalten zu können.

1942 wurde sie in das Ghetto Theresienstadt deportiert und von dort in das Vernichtungslager Treblinka.

1) 

- www.museenkoeln.de/ns-dokumentationszentrum 

- Werner Röder e.a. (Hg.), Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, München-London-New York-Paris 1980, Bd. I, S. 832. (Auch digit.bei books.google.de)