Vom Geist des Heimatforschers (3)
Zwei Jahre später[6] arbeitet Kölling dasselbe Thema noch breiter aus, diesmal gleich unter dem bündigen Titel
Die Gedankenführung ist dieselbe wie im Aufsatz von 1935.
Vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten
stand unsere Nation vor dem Verfall, der in kurzer Zeit zum Untergang geführt hätte […]
Unser Volk hatte verlernt, den tieferen Sinn seines Daseins, die Bedeutung von
B l u t u n d R a s s e zu verstehen.
Die zugehörige Kulturtheorie sieht die Ursache des „Verfalls“ in der „Scheinkultur“ der Industriestädte mit ihrem „Materialismus“ und „Kulturbolschewismus“. Kölling:
Schon lange vor dem großen Kriege hatten weite Kreise unseres Volkes den Zusammenhang mit Sippe und Heimatboden verloren.
Es lockte
der Glanz der Großstadt. […] Die darauf gegündete Scheinkultur löste den Menschen von seinem natürlichen echten Volkstum. […] Es war die Zeit des krassen Materialismus.
In der Wirtschaftskrise
verloren die von „Blut und Boden“ losgelösten Menschen ihren letzten Halt. Sie waren für den zersetzenden Bolschewismus am ersten empfänglich.
Aber auch die Landbevölkerung missachtete zunehmend ihr überliefertes handfestes Brauchtum. Zum Beispiel wurden die alten Volkslieder abgelöst von volksfremder Musik, und der Volkstanz
mußte Tänzen weichen, die dem deutschen Wesen fremd waren.
Dies wäre als harmlose Volkstümelei zu betrachten, stände es nicht vor dem Hintergrund der rassistischen NS-Kulturpolitik. 1935 verfügte der Reichs-Sendeleiter das „endgültige Verbot des Niggerjazz für den ganzen deutschen Rundfunk“, und 1938 wurde in der NS-Ausstellung „Entartete Musik“ die gesamte US-amerikanische Musik als „Negermusik“ diffamiert.[7]
Der Nationalsozialismus brachte also die Rettung:
Erst nach dem Umbruch 1933 konnte dem gesamten kulturellen und völkischen Leben eine neue Richtung gegeben werden.
Der Nationalsozialismus sieht die bodenständige Bevölkerung als Quell eines starken und lebensfähigen Volkes an. Aus dieser Erkenntnis heraus will er Land und Landvolk frei machen von volksfremden, undeutschen Erscheinungen […] und wieder echtes Volkstum schaffen […]
Für Kölling liegt das Schaumburger Land
im K e r n g e b i e t g e r m a n i s c h e n B a u e r n t u m s , in dem sich die nordisch-fälische Rasse fast rein erhalten hat […]
Eine ausführliche siedlungsgeschichtliche Darstellung verdeutlicht den Kerngedanken:
Es ist ein Wert an sich, wenn eine u n v e r m i s c h t e Bevölkerung über möglichst lange Zeit auf demselben Territorium lebt. Was aus objektiv-wissenschaftlicher Sicht vor Inzucht schützen würde, ist für den Rasse-Ideologen eine Gefahr:
Einmal stand unsere Heimat in Gefahr, stark mit westischem Blut vermischt zu werden. Um 1790 wollte der Landgraf von Hessen 12000 französische Flüchtlinge in unserer Heimat ansiedeln. Nur der Einspruch der benachbarten Landesherren schützte unser Blut und Volkstum vor dieser starken Ueberfremdung.
Die Betrachtung enthält auch einen a n t i j ü d i s c h e n Abschnitt:
Es bleibt noch zu untersuchen, ob eine V e r m i s c h u n g m i t f r e m d e n
R a s s e n , insbesondere der jüdischen, eingetreten ist. Die Schaumburger Polizeiordnung von 1615 urteilt über die Juden im Kapitel vom Vorrecht der Zinsforderungen:
„Zwar wäre zu wünschen / und würde auch denen Christen viel nütz- und erträglicher seyn / daß sie nicht die geringste Gemeinschaft mit einem solchen Volke hätten … / und daß sich bloß darauf leget / wie es die Christen bekriegen und um das Ihrige bringen möge … / Jedennoch aber / weil man siehet / daß die Juden manchmal zu wichtigen Handeln sich gebrauchen lassen können / so machet man sich kein Gewissen mit solchen Blutsaugern der Christen umzugehen / mit denselben zu verkehren und Handel zu treiben .“[8]
Bei solch amtlicher Einstellung ist nicht anzunehmen, daß die alte schaumburgische Landesregierung Schutzbriefe für Juden ausgestellt hat.
Kölling hat hier die Quelle m a n i p u l i e r t.
In dem zitierten Kapitel der Polizeiordnung geht es um die Frage, in welcher Rangfolge die Gläubiger eines in Konkurs geratenen Schuldners auf die Konkursmasse zugreifen durften.[9] Dazu werden die Gläuber in sechs „Classen“ eingeteilt. Unmittelbar v o r der von Kölling zitierten Stelle wird gefragt,
"Ob wohl auch die Juden aller und jedweder Praelation und Vorzugs auf begebenden Fall / so wol als die Christen / zu geniessen haben und dessen theilhafftig werden?"
Also: ob die dargelegte Vorrang-Regelung für die Juden genau so gilt wie für die Christen?
Das setzt schon voraus, dass es jüdische Geldverleiher im Lande gab. Das konnten sie aber nur mit Judenschutzbriefen - und sie existieren tatsächlich. Ein halbes Dutzend Akten des alten Schaumburger Samtarchivs (heute „L1“), das sich in den 30er Jahren im Staatsarchiv Marburg befand, erwähnt zwischen 1606 und 1636 etliche Schaumburger Schutzjuden, z.T. sogar listenweise. Kölling muss sie gekannt haben.
Nun zum wichtigen Punkt. Der wahre Sinn des Quellentextes zeigt sich, wenn man einfach weiter liest:
„Ob nun wol dieses nicht zu loben; so kan jedoch deswegen gar nicht geschlossen werden / daß die Juden / wenn sie Geld ausgeliehen haben / nicht eben die praerogativ und den Vorzug in denen sich begebenen Fällen / wie die Christen / geniessen müsten. Zumahl ausdrücklich verordnet / daß die Juden sich eines gleichen Rechts mit denen Christen bedienen sollen.“
In moderner Sprache:
„Obwohl dies nicht lobenswert ist, so kann doch daraus keineswegs geschlossen werden, dass die Juden, wenn sie Geld ausgeliehen haben, nicht dasselbe Vorrecht und den Vorzug in den jeweiligen Fällen wie die Christen genießen dürften. Zumal ausdrücklich verordnet ist, dass für die Juden das gleiche Recht wie für die Christen gelten soll.“
Die amtliche Einstellung von 1615 besteht also in der G l e i c h b e h a n d l u n g von christlichen und jüdischen Kreditgebern. Kölling unterschlägt die sinngebenden Stellen v o r und n a c h seinem Zitat.
Auf banale Weise richtig ist natürlich die Feststellung, dass Mischehen zwischen Juden und Christen auf dem Lande praktisch nicht vorkamen, was er - deutlich erleichtert - so formuliert:
Eine Vermischung mit jüdischem Blut in einem Ausmaß wie in manchen Großstädten kommt hier nicht in Frage.
Sozial-darwinistisch geht es weiter, wenn Kölling sogar eine r a s s i s c h e
A u s l e s e durch S e u c h e n begrüßt:
In gewissen Zeitabständen haben verheerende Seuchen die Volksmenge vermindert. […] So schwer die Seuchen die Bevölkerung trafen, wir müssen sie auch als rassische Auslese ansehen. Das Schwache wurde zunächst hinweggerafft, das Gesunde, Starke hielt sich.
Seine eigene sippenkundliche Arbeit als Heimatforscher - zur Erforschung des Blutes und des Bodens unserer Heimat - ordnet er ausdrücklich den weltanschaulichen Zielsetzungen des Reichsnährstandes zu (dessen Führer der schon erwähnte Blut-und-Boden-Theoretiker und Leiter des Rasse- und Siedlungshauptamtes der SS Walther Darré war):
Der Reichsnährstand sieht es als eine wesentliche Aufgabe seiner Hauptabteilung I „Der Mensch“ an, die Geschichte des […] mit dem Boden verbundenen Menschen zu erforschen.
Walther Darré bei einer Kundgebung in Goslar [10]
Nach heutiger Einschätzung war diese Hauptabteilung
„zuständig für die ideologische Erziehung und die Überwachung der so genannten Blutreinheit der Bauernschaft.“[11]
Köllings Feststellung, dass in der Grafschaft Schaumburg etwa zwei Drittel der Bauern länger als 200 Jahre bodenverbunden seien, dient der Verdeutlichung einer rassisch einheitlichen Volksgemeinschaft:
Alle diese Dinge erkennen und klarlegen bedeutet, unsere Bevölkerung zur Erkenntnis ihrer Blutzusammenhänge zu führen.
Die Erkenntnis aber, daß wir alle eines Blutes sind, […] schließt in der Konsequenz nationalsozialistischen Denkens alles „nichtdeutsche Blut“ von der Volksgemeinschaft aus.
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[6] Schaumburger Heimatblätter Nr. 38, 29.11.1937
[7] Wikipedia, Stichwort „Negermusik“
[8] An der Stelle „die Christen bekriegen“ unterläuft ihm ein kleiner Lesefehler, denn im Original steht nicht "bekriegen", sondern "betriegen", also „betrügen“.
[9] Schaumburger Policeyordnung, S. 336 f.
http://digital.slub-dresden.de/id363427171/1
[10] Bundesarchiv_Bild_183-H1215-503-009
[11] Wikipedia, Stichwort „Reichsnährstand“