Hessisch Oldendorf
Oldendorf unter der Schaumburg
Theodor Korff, Pastor der ev.-luth. St.-Marien-Gemeinde in Hessisch Oldendorf bis 1947
Die Notizen von Pastor Korff sind - vor allem für die Nazi- und frühe Nachkriegszeit - ein wertvolles Dokument der Lokal- und Regionalgeschichte. Sie widerspiegeln, wie die NS-Herrschaft auf Interessen und Aktivitäten von Kirche und Gemeinde einwirkt, gehen aber über rein kirchliche Dinge hinaus. Beispielsweise findet sich in seinen Aufzeichnungen die erste und einzig bekannte Information, dass die im Jahr 1935 inszenierte NS-Propaganda-Aktion wegen einer angeblichen Vergewaltigung im Haus der jüdischen Viehhandlung Löwenstein auf purer Verleumdung beruhte.
Wie viele Deutsche hatte auch Korff 1933 aus patriotisch-konservativer Gesinnung heraus die Machtübernahme Hitlers als Erhebung aus nationaler Demütigung hoffnungsvoll begrüßt. Goebbels’ Potsdam-Show vom 21. März 1933, die den Nationalsozialismus mit dem Preußen-Mythos verband, Hitlers Regierungserklärung vom 23. März, die im „Christentum die unerschütterlichen Fundamente des sittlichen und moralischen Lebens unseres Volkes“ beschwor, und nicht zuletzt die radikal antibolschewistische Frontstellung der Nazis verfehlten nicht ihre Wirkung auf konservative und christlich empfindende Menschen. Dieses Bündel aus vaterländischer, christlicher und antikommunistischer Gesinnung bewog auch den Mann der Kirche, am 25. Juni 1933 in einer Festpredigt dem neuen Machthaber seinen Segen zu erteilen:
„Heute ist unser Volk erwacht, einig in allen seinen Stämmen, geleitet von einer starken Hand. Dafür wollen wir Gott von Herzen danken.“
(Vgl. den Artikel „1633 - 1883 - 1933“ auf dieser Webseite)
Konfirmation 1934. Der Konfirmand mit HJ-Uniform (durch Stiefelhose und Schulter-Schnur als „Führer“ erkennbar) steht am Rande - auf Wunsch des Pastors? Zwei Jahre später war die gesamte deutsche Jugend per Gesetz Mitglied in der Hitlerjugend.
(Foto: Bernd Stegemann: Hessisch Oldendorf damals. Bilder aus vergangenen Jahrzehnten. Horb am Neckar, 1987)
1933/34
Die lokalen Auseinandersetzungen, die Korff zunächst anspricht, betreffen den Kampf der NSDAP gegen den seit der Weimarer Republik amtierenden Bürgermeister Dr. Blancke (Näheres dazu im Artikel „Bürgermeister in Demokratie und Diktatur“ auf dieser Webseite).
Wenn er dann die Oldendorfer Wahlergebnisse vom November 1933 „relativ ungünstig“ nennt, meint er: ungünstig für die Nationalsozialisten, weil hier im Vergleich zu anderen Schaumburger Städten verhältnismäßig mehr Wähler den Mut hatten, mit „Nein“ oder ungültig abzustimmen.
Im Folgenden muss Korff negative Auswirkungen der neuen Zeit auf das kirchliche Leben registrieren, weil sich Hitlers „Christentum“ als Lug und Trug heraus stellt und der NS-Staat daran geht, die totale Inanspruchnahme der Menschen, besonders der Jugend, zu erzwingen. Einfluss und Freiheiten der Kirche gehen zurück. Das wird sich später noch verschärfen. Siehe auch Materialanhang M3 - M6.
1933/34
Kampf und Uneinigkeit herrschte in Oldendorf bis weit ins Jahr 1934 hinein. Der Haupturheber war Marcus Peter Jenner (M.P.) Nach dem Kriege ein wilder Demokrat, hatte er sich später der NSDAP angeschlossen u. spielte neben dem Ortsgruppenleiter Schramme die erste Stelle.
Besonders waren Hauptlehrer Wilharm und Bürgermeister Dr. Blancke seinen Verfolgungen ausgesetzt. Gegen letzteren war er in einer Sitzung sogar tätlich vorgegangen. Prozesse kamen. M.P. Jenner, der inzwischen stellvertr. Ortsgruppenleiter geworden war, wurde für untauglich oder unwürdig erklärt, noch irgendwelche Posten in der Partei zu bekleiden. Dr. Blancke war ein halbes Jahr beurlaubt, wurde dann aber wieder in sein Amt eingesetzt. M.P. Jenner hatte gegen eine Anzahl mehrerer Oldendorfer Männer (Brautlecht) und Frauen Prozesse angestrengt, die aber abgelehnt wurden.
Ein anderer Amtsleiter, Propagandaleiter Küstermann, der seine Befugnisse überschritt, wurde ebenfalls abgesetzt.
- Daß auch Oldendorf fast 90 % nationalsozialistisch geworden war, bewies die Wahl vom 12. Nov. 1933:
1) Reichstagswahl, 2) Volksabstimmung.
Von 1663 Stimmberechtigten bei 1) 1463 NSDAP (188 ungültig), bei 2) 1508 „Ja“ (Nein 67, ungültig 76).
Allerdings war das Resultat relativ ungünstig. Vergleich Rinteln zu 1) 227 ungültig, zu 2) 59 „Nein“ und 61 ungültig. Obernkirchen zu 1) 113 ungültig u. zu 2) 65 „nein“, 31 ungültig.
Im Herbst 1933 machte die kirchliche Jugendpflegerin in Rinteln, Frl. Fabla[?] hier mehrmals den Versuch, die weibl. Jugend im Jungmädchenverein zu sammeln. Er schlug fehl, es kamen nur einige Mädchen. Inzwischen hatte sich hier der BDM gebildet. Als dann Anfang 1934 die ev. Jugend in die Hitlerjugend eingegliedert wurde, da gab es hier nichts einzugliedern.
Herbst 1933 hatte ich mich auch angeboten, der männl. H.J. im Gemeinde-Saal Vortragsabende zu halten.
Doch kam es nicht dazu. Ich setzte mir nun als Ziel, möglichst alle 2 Monate einen Jugendgottesdienst zu halten. […]
Wie anderswo, so hat auch hier der Gottesdienst Besuch 1933/34 abgenommen. Gründe: häufiger Dienst der S.S. - S.A. - S.A.R. - S.S. Untersturm - H.J. - Jungvolk - BDM- Schulungs- u. andere Abende der NSDAP.
Die Beteiligung dieser Organisationen am Gottesdienst beschränkte sich auf die offiziellen Anlässe wie 30.1.34, läßt auch hier nach. Am 1.5.34 war nur H.J. u. BDM gut vertreten. -
Gut besucht war die Luther-Feier am 19.11.33. Lutherbroschen wurden reichlich verkauft. […]
In der Bibelstunde 1933/34 behandelte ich „Luther und die Reformation im Lichte des Römerbriefes“. Der Besuch ging zurück. […]
1935
Korff zeigt Mut und Empörung, als er ein antisemitisches Flugblatt in seine Chronik einklebt und es ausführlich kommentiert.
Das in Oldendorf und Umgebung verbreitete, sogar in Bielefeld aufgetauchte Blatt behauptete unter der Überschrift „Unerhörte Rasseschändung im Hause des Juden Löwenstein in Hess. Oldendorf!“, dass ein Angestellter der alteingesessenen Viehhandlung Löwenstein ein 14-jähriges „arisches“ Mädchen vergewaltigt habe. Der hetzerische Text fordert u.a.: „An den Galgen mit dem Juden Mannheimer!“
Der Kreispropaganderleiter Carlowitz veranstaltete dazu auf dem Oldendorfer Marktplatz eine Kundgebung, in deren Folge es zu den ersten Ausschreitungen gegen jüdische Mitbürger in Hessisch Oldendorf kam. Siehe Materialanhang M1 - M2.
Diese Notizen Korffs bleiben allerdings seine einzigen zur Judenverfolgung. Die Ereignisse der Pogromnacht vom 9. November 1938 und die spätere Flucht bzw. Deportation der Oldendorfer Juden werden von ihm nicht erwähnt.
Die ‚Saure Gurkenzeit‘ 1935 brachte unserer Stadt mal wieder viel Aufregung und Unruhen. Ich will mich kurz fassen, ist es doch sehr beschämend für unsere Heimat, was zu berichten ist. Die Anklagen des roten Plakates beruhen größtenteils auf Unwahrheit laut Entscheidung des Staatsanwalts. Der Jude Mannheimer kam nicht an den Galgen, sondern wurde auf freien Fuß gesetzt. ‚Das deutsche Mädchen‘ - Konfirmandin 1935 - schon seit längerem übel beleumundet, hat gelogen.
Statt daß man sich nun gegenüber den Juden Zurückhaltung auferlegt hätte, fand eines Nachts eine Zusammenrottung statt, woran sich verheiratete Männer und Frauen beteiligten, und unternahmen einen Feldzug gegen die Juden, die sich in keiner Weise herausfordernd benommen hatten. Fenster wurden eingeschlagen. In Häuser wurde eingedrungen. Zerstörungen angerichtet. Die Juden gezwungen abzureisen. Ausbrüche von Roheit! Der Bürgermeister spielte dabei eine unrühmliche Rolle.
Über das alles große Empörung in der Stadt bei allen rechtlich Denkenden. Das Ganze aber auch nur ein Ausschnitt aus dem „Kampf“ gegen die Juden.
[...]
1936-39
Hier stehen wieder kirchliche Belange im Vordergrund. Bemerkenswert, dass Korff es wagt, die NS-Kirchenpolitik als „Terror“ zu bezeichnen. Andererseits bleiben außerkirchliche Aspekte dieser Terror-Herrschaft ganz außer Betracht.
Der Protestbrief, den Korff an den stellv. Schriftleiter der Schaumburger Zeitung, Heimatforscher Walter Maack richtet, weil der sich mit seinem Festspiel „Hasphurt“ der antireligiösen Politik der Nazis anbiederte, bedarf keines Kommentars.
Ende 1938 wurde vom Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB) eine Aktion unternommen, wodurch die Lehrer bestimmt werden sollten, den Rel. Unterricht niederzulegen. […] In unserer Gemeinde hat kein Lehrer den Rel. Unt. niedergelegt. Rel. Stunde wird erteilt. -
Da der Schulleiter, Hauptlehrer Holste, dem Organisten Lehrer Otto den Rat erteilte, den Schülerchor nicht zu leiten, haben die Kinder in der Weihnachtsabend Kirche 1938 nicht gesungen.
Daß und in welchem Maße 1938 der Kampf gegen die christliche Kirche zunahm, ist daraus zu ersehen, daß die Zahl der Kirchenaustritte von 9 im Jahre 1937 auf 23 im Jahre 1938 anstieg.
Die Namen der Ausgetretenen sind folgende:
H. Kxxxxx, E. Mxxxxx, P. Exxxx sen., M. Exxxx, K. Kxxxxx, E. Bxxx, E. Vxxxx, A. Sxxxxx, E. Mxxxx, Friedr. Kxxxxxx, Frieda Kxxxxxx u. Kinder M.A.Fr. Sxxxxx, M. u. S. Sxxxxxxxxxxx, H. Lxxxxxxxx, Fr. Pxxx. -
Gebürtige Oldendorfer (vgl. S. 246) traten ferner in den Jahren 1936-38 aus:
Vermessungskandidat Hermann Sxxxxxxxx, Rodenberg; Diplomingenieur Walter Kxxxx, Bug; Emil Txxxx, Soltau; Wilhelm Dxxxxxx, Osnabrück; Heinrich u. Wilhelm Rxxxx, Hameln; Hermann Axxxxxxx, Hameln; Hermann Uxxxxxxxx, Erfurt; Marie Uxxxxxx, Bad Pyrmont; außerdem der in Helmstedt geborene Apotheker P. Exxxx jun.
Der hiesige Rechtsanwalt Sxxxxxxx heiratete die Tochter des Apothekers Exxxx, eine kirchliche Trauung fand nicht statt, sondern eine NS-„Trauung“ im HJ- u. BDM-Heim am Kirchplatz.
Das Ehepaar Karl Kxxxxx - Wxxxxxxx ließ sich ebenfalls nicht kirchlich trauen. Eine von der SS veranstaltete Feier fand im Kindergarten statt. Auch in einigen anderen Fällen fand keine kirchl. Trauung statt, besonders bei solchen, die hier nicht wohnen.
Die Taufe wurde bisher immer begehrt bis auf das Ehepaar Erich Bxxxxxxx u. Erna geb. Txxxxxxxx, die ihre 2 Kinder nicht taufen ließen. -
Die Zahl der Abendmahlsgäste fiel von 639 im Jahre 1937 auf 582 im Jahre 1938.
Die kirchliche Beerdigung fand noch in allen in Frage kommenden Fällen statt.
Der Kirchenbesuch ist nach meiner Schlacht [zurück gegangen] und nimmt weiter ab. Eine Vergleichung der Zahl der erwachsenen Kirchenbesucher an den Sonntagen Septuag. - Invokavit, Mis.Dom. - Kantate und 9. - 13. p. Trin. zeigt folgendes betrübende Bild:
Die z.T. geschätzten Zahlen der erwachsenen Kirchenbesucher dieser 12 Sonntage waren:
1937: 70 - 1938: 76 - 1939: 67.
In einer an Terror grenzenden Weise arbeitet man gegen den Kirchenbesuch.
In rigoroser und unberechtigter Weise ging man Ende 1938 in unserer Grafschaft Schaumburg gegen die Benutzung der Schulen zu kirchl. Zwecken vor. Zu Unrecht berief man sich dabei auf die Anordnung über die Auseinandersetzung des Vermögens bisher vereinigter Schul- und Kirchenämter vom 13. Okt. 1938.
Auch uns wurde am 9.12.38 durch den Bürgermeister die Benutzung eines Schulraumes für Erteilung des Konfirmanden-Unterrichtes zum 31.12.38 gekündigt. Am 15.12. machte ich darüber eine Eingabe an das Landeskirchenamt, unterrichtete aber nur noch im Gemeindesaal. An mehreren Orten mußte die Sperrung der Schule für kirchl. Zwecke auf höhere Anordnung jedoch wieder rückgängig gemacht werden, besonders da, wo sonst kein Raum für Konfirmanden-Unterricht zur Verfügung steht, wie z.B. in Rinteln.
Für die Vermögensauseinandersetzung ernannte der Kirchenvorstand einen Ausschuß, bestehend aus Herrn Kaiser sen., Vauth und mir. Wir besprachen die Lage und warteten ab, ob die Stadt an den Kirchenvorstand heran treten werde. Dies geschah nicht. Statt dessen lud der Landrat zu einer Sitzung am 20.3. in die „Börse“ ein, mit dem Anheimstellen, auch die Kirchenvorstandsmitglieder zu bestellen. Da die Frage der Auseinandersetzung nur „erörtert“ werden sollte, wie es in dem Schreiben hieß, so beschränkte ich mich darauf, den Ausschuß einzuladen. Erst am Mittag des 20.3. kam vom Landrat der telephonische Bescheid, es müßten alle Mitglieder kommen. Ich lud sie ein, jedoch mit dem Erfolg, daß wir nicht beschlußfähig waren, während die Gegen-Seite vollzählig erschienen war. Der Landrat war sehr ungnädig, denn er wollte den Vertrag am 20. zum Abschluß bringen. Er beruhigte sich aber, als ich ihn auf den Wortlaut der Einladung aufmerksam machte. Der Vertrag wurde gemacht. Bis heute (6.9.39) ist er jedoch nicht genehmigt. -
Lehrer Otto erhielt die Genehmigung, das Organistenamt bis auf Widerruf auszuüben. Er wurde durch Vertrag angestellt. Anderen dagegen wurde die staatliche Genehmigung zum Organistendienst versagt, z.B. in Gr. Wieden und Hohnhorst. - Ob nun diese Dinge Vorboten einer Trennung von Staat und Kirche sind?
Im Juni 1939 feierte Rinteln das 700jährige Stadtjubiläum.
Der Schriftleiter der Schaumburger Zeitung Walter Maa[c]k schrieb dafür das Heimatspiel: „Hasphurt“, das sich in der hiesigen Pfarrbibliothek befindet. Wegen der Behandlung der „Geistlichkeit“ und besonders Josua Stegmanns in dem Stück, schrieb ich an den Verfasser folgenden Brief:
Hess. Oldendorf, 25.5.39
Sehr geehrter Herr Maa[c]k!
Sie werden verstehen, daß ich mit großem Interesse Ihr Festspiel „Hasphurt“ gelesen habe. Ich stimme dem anerkennenden Urteil zu, das Herr Börner in den „Heimatblättern“ ausgesprochen hat.
Aber 5 Seiten muß ich davon ausnehmen: 51-55.
Gleich beim ersten Lesen dieser Szenen habe ich die größten Bedenken gehabt.
Gestatten Sie, daß ich Ihnen meine Ansicht darlege. Wenn Sie mir ein Unbekannter wären, würde ich es vielleicht nicht tun. Aber unsere Bekanntschaft und die Beziehungen der Familien Böndel - Korff geben mir wohl ein Recht, offen zu sprechen.
Mit der Klage des Bürgermeisters über die Geistlichkeit beginnt, was ich meine. Natürlich würde es mich interessieren, zu hören, ob Sie für den Inhalt dieser ganzen Szene Unterlagen haben. Vermutlich nicht. Aber wenn schon, ist nicht mit dem Ganzen eine Verunglimpfung Josua Stegmanns eng verbunden? Er ist doch neben Gisenius der Vertreter der lutherischen Geistlichkeit, von der gesagt wird, daß sie nicht nach Recht und Frieden fragt, den Streit schürt, nur redet, aber nicht handelt, der Not des Volkes ohne Erbarmen gegenübersteht.
Haben Sie einmal in den „Herzensseufzern“ Stegmanns gelesen? Dann müssen Sie auch wissen, welch ein Erbarmen dieser Mann mit dem deutschen Volk hatte; daß er nicht hassen konnte und daß er für nichts anderes kämpfte, als für das Evangelium.
In der 10. Szene werden die Professoren gleich auf eine Linie mit den Mönchen gestellt, Gisenius polternd u. grob, Stegmann salbungsvoll, klagend und verzweifelnd, und worüber er verzweifelt, ist der Verlust seiner Ehre.
Was Gisenius und Stegmann betreiben, wird schließlich als Pfaffengezänk und Narrenstreit bezeichnet.
Das ist in dem Festspiel das letzte Urteil über 2 Männer, die nicht nur um die lutherische Kirche, sondern auch um Rinteln große Verdienste hatten.
Ich bin und will kein Prophet sein, aber das sehe ich voraus, wie sich die kirchenfeindlichen Elemente unter dem Publikum dabei verhalten werden. Ich fürchte, es wird fast zu einer Demonstration gegen die heute schwer ringende Kirche werden. Und wenn es dazu nicht kommt, einen Mißklang kann diese Szene auf jeden Fall für das Fest bringen. Die kirchentreuen Leute - und solche gibt es in Rinteln und in der Grafschaft doch noch - werden Anstoß daran nehmen.
Mußte das sein? Konnte das nicht vermieden werden, zumal bei einem solchen Fest?
Es wird nicht möglich sein, die ganze Szene zu streichen. Dann würden die nicht auf ihre Rechnung kommen, die auf nichts anderes im ganzen Stück so sehr warten, wie auf diese Szene. Aber ich möchte Sie dringend und herzlich bitten, Ihren Einfluß dahin geltend zu machen, daß durch die Vorstellung die Wirkung dieser Szene nicht verstärkt, sondern vielmehr vermindert wird. -
Ich würde es jedenfalls sehr bedauern, wenn später gesagt werden müßte:
1932 hat Rinteln Stegmann geehrt, 1939 hat Rinteln Stegmann verunehrt.
So sehr sich die Verhältnisse seit 1932 geändert haben, der Mann Josua Stegmann sollte für die heimattreuen Rintelner unangreifbar sein.
Wenn diese meine Zeilen dazu dienen sollten, einen Mißton von dem 700j. Stadtjubiläum fern zu halten, so würde ich mich freuen.
Mit bestem Gruß, auch an Ihre Gattin und die Familie Böndel
Ihr Korff.
Eine Antwort habe ich auf diesen Brief nicht bekommen. Unterlagen für die Beschuldigung der Geistlichkeit sind demnach nicht vorhanden. Doch ist in der Szene soviel gestrichen worden, daß es zu keinem Ärgernis kam. Ich habe das Festspiel nicht gesehen. Immerhin ist es für die Zeit bezeichnend und bedauerlich, daß solche Stegmann verunglimpfenden Zeilen in Rinteln geschrieben und gedruckt wurden.
1939-41
Nach einer Kirchenbesuch-Statistik folgen 1940 Berichte über erste Fliegerangriffe auf das Wesertal. Britische Bombenabwürfe bewegen Korff zu emotionalen Versen, in denen er die geliebte Heimat als vom englischen Hass „entweiht“ beklagt und zugleich verklärt. (Dass deutsche Bomber im Jahr zuvor Warschau zerstört hatten, blieb unerwähnt.) Deutsche Kriegserfolge scheint er mit patriotischer Befriedigung zu beobachten.
Als nach dem Überfall auf die Sowjetunion der Erzbischof von Canterbury im Juli 1941 öffentlich die Unterstützung Russlands fordert, nutzt Goebbels’ Propaganda dieses zu allgemeinen antikirchlichen Angriffen. Es sind diese negativen Folgen, die Korff beklagt, wenn er davon spricht, es sei „im Kampf gegen Rußland zu Dingen gekommen, die geeignet sind, der christlichen Kirche Schwierigkeiten zu bereiten“. Die „Dinge“ selbst, zu denen es beim deutschen Vormarsch gekommen ist, werden mit keinem Wort thematisiert. Siehe auch Materialanhang M7 - M9.
Der Krieg 1939 - 1940
der bis jetzt keine besondere Bezeichnung gefunden hat, soll hier nur in seiner Beziehung zum hiesigen Gemeindeleben behandelt werden. Welchen Einfluß hat der Krieg auf den Gottesdienst-Besuch gehabt? Einige Zahlen werden das zeigen.
Der Besuch des Gottesdienstes betrug
30.7.39: 68 Personen mit 2 Konfirm.
6.8.39: 66 3
13.8.39: 90 10
20.8.39: 65
27.8.39: 100
3.9.39: 88 13
10.9.39: 70 8
17.9.39: 93 13
24.9.39: 85 10
Vergleicht man die Zahlen der letzten Friedens- und des ersten Kriegsmonates, so sieht man, daß keinerlei Veränderung im Gottesdienstbesuch eingetreten ist, sehr im Unterschied vom Weltkriege […]
Von Fliegerangriffen ist unsere Gemeinde bisher verschont geblieben. Wie oft aber sind die feindlichen Flugzeuge auf dem Wege nach Hannover und Berlin über uns hinweg gebraust! Nördlich und südlich von Oldendorf sind aber einige Male Bomben niedergegangen.
Am nächsten kamen sie uns in der Nacht zwischen dem 10. u. 11. Mai 1940. Am 10.5. begann der Vormarsch gegen Westen. Das hatte den Angriff der englischen Flugzeuge zur Folge. Kurz nach 2 Uhr gingen 11 Bomben im Raum zwischen Fuhlen, Hesslingen, Friedrichshagen und Hemeringen nieder, glücklicherweise nur auf Äcker und Wiesen. Da ich durch Ischias-Schmerzen gepeinigt wach lag, verfolgte ich den ganzen Vorgang, hörte ich nicht nur das Krachen, sondern sah auch vom Bett aus das Blitzen der Bomben.
Meinen Gefühlen gab ich in den Worten Ausdruck:
Schaumburger Heimat,
Wie bist du entweiht,
Britische Bombe
Zerriß dir dein Kleid.
-
Liebliches Wesertal,
Prangst wie zum Pfingstbesuch
Albions Hassen
Wunden dir schlug.
-
Schaumburger Heimat,
trag’ nur dein Leid,
Blühend wie andre,
Bist recht so geweiht.
-
Fliegeralarm gab es in Oldendorf nicht.
In einer September-Nacht 1940, als das Wesertal durch britische Leuchtkugeln tag-hell beleuchtet war, sollen aber doch viele Oldendorfer im Keller gewesen sein.
Aus Anlaß des englischen Fliegerüberfalls auf Bethel konnte ich 50 RM der Anstalt überweisen.
Allezeit danken! Ja, dazu hat auch unsere Gemeinde allen Grund. Ist doch unsere Gemeinde im ganzen ersten Kriegsjahre von Todesopfer und von Schwerverwundungen verschont geblieben, während Oldendorf im 1. Jahr des Weltkrieges 34 Gefallene hatte. Wie gewaltig ist überhaupt der Unterschied zwischen dem Weltkrieg und dem gegenwärtigen, besonders durch die schnelle Unterwerfung Frankreichs.
Man hätte denken sollen, am 1. September 1940, am Jahrestag des Kriegsbeginns, hätten sich wohl mehrere gefunden, die Gott im Gotteshause die Ehre gegeben hätten - auch unaufgefordert -, aber nein, 50 - 60 Erwachsene waren in dem Gottesdienst. Ich lud dann zum nächsten Sonntag zu einem Dank-Gottesdienst ein, danken wollten wir für die gnädige Bewahrung unserer Oldendorfer Krieger i. 1. Kriegsjahr. Auch schriftlich lud ich ein, etwa 250 Einladungen gingen durch die Konfirmanden in die Häuser. Am folgenden Sonntag waren dann etwas über 100 Erwachsene im Gottesdienst. […]
Etwa Erfreuliches, das aber mit dem Kriege nicht in Zusammenhang steht, möchte ich auch hinzufügen: Witwe Friederike Requardt, die ihren Mann und ihre leidende Tochter durch den Tod verloren hatte, stiftete der Anstalt Bethel 1500 RM. […]
Leider ist es im Kampf gegen Rußland zu Dingen gekommen, die geeignet sind, der christlichen Kirche Schwierigkeiten zu bereiten, so wenn der Erzbischof von Canterbury und sein Prior ihre Stimmen für die Bolschewisten erheben oder wenn selbst Roosevelt im Gebet sich gegen uns wendet. Das wird im deutschen Rundfunk recht breit getreten, leider hört man hier aber nichts darüber, daß 2000 protest. Pfarrer in USA sich geweigert haben, die Waffen gegen Deutschland zu segnen. Wohl wird durch Rundfunk bekannt gegeben, daß der Erzbischof von Finnland sich gegen den von Canterbury gewendet hat.
In welcher Weise die Tätigkeit der Kirche behindert wird, das beweist nicht nur das schon erwähnte Verbot, daß wir Pfarrer [keine] religiöse Schriften oder hektogr. Briefe schicken dürfen, sondern auch manches andere. So wurden die Schriftenkästen verboten, die in vielen Kirchen aufgestellt waren.
Die kirchliche Presse mußte wegen Papiermangel zu 90% ihr Erscheinen einstellen, während antikirchl. Blätter usw. weiter erscheinen.
Der Besuch der Kranken in Krankenhäusern ist uns nur noch gestattet, wenn es die Kranken ausdrücklich wünschen. Das „Kasseler Sonntagsblatt“, das aber nur im beschränkten Maße als Vergleich angesprochen werden kann, erscheint weiter […]
Am Erntedankfest wurden 200 Geldstücke gezählt, am Reformationsfest dagegen nur 133. (39 Konfirmanden.)
Der Buß- u. Bettag wurde 1941 auf den vorhergehenden Sonntag verlegt. Auch die Feier des Himmelfahrtsfestes war verschoben worden u. zwar auf Exaudi.
Am Himmelfahrtstag hielt ich Abends im Gemeindesaal eine gutbesuchte gottesdienstliche Feier. Auf dem Lande wurde am Himmelfahrtstage 3.7. nicht gearbeitet.
In 26 Kriegsmonaten hatte Oldendorf nur 1 Schwerverwundeten (Selle: Beinamputation), aber keinen Gefallenen.
Anfang November traten dann aber gleich 2 Fälle ein. Der 1. Gefallene war der Soldat Hermann Diedrich, einziger Sohn, der 2. Heinz Deiterding (Obergefr. bei der Luftwaffe (siehe Totenbuch).
Am Totensonntag u. am 1. Advent wurde die Gedächtnisfeier nach der Ordnung im Amtsblatt gehalten.
Bezeichnend ist, daß in Rinteln seitens der Partei versucht wurde, die Verlesung der Namen bei der Gedächtnisfeier zu verbieten, woran sich aber die Kirche, Gott sei Dank, nicht gehalten hat.
Trotz der staunenswerten Erfolge im Feldzug gegen Rußland, konnte die Entscheidung 1941 nicht herbeigeführt werden. So muß unser Gerhard im russischen Eis und Schnee überwintern.
Seit heute, dem 11.12.1941, befindet sich Deutschland im Krieg mit Amerika, wie auch Italien und Japan seit einigen Tagen.
Und Gott? Schweigt oder redet? Land, Land, Land, höre …
[…]
Die folgende, eigentliche Kriegschronik steht in Maschinenschrift. Die Schilderungen der Endphase sind sprachlich noch der amtlichen Kriegsberichterstattung verhaftet, wenn von „Feind“, „Gegner“, "unserem Kampf" u.ä. die Rede ist.
Der Einmarsch der amerikanischen Soldaten in Hessisch Oldendorf ist auch für Pastor Korff „kein Grund zur Freude“, und doch möchte er seinen Landsleuten empfehlen, „an sich selbst Kritik zu üben“. Er übt diese schließlich an der Person des Bürgermeisters Blancke, wenn auch vorsichtig und abwägend, indem er ihm den Charakter einer „pia anima“ (treue Seele?) zubilligt. Gern hätte man noch nähere Fakten erfahren.
Kriegschronik seit dem 1. April 1945
In der Nacht vom 31. März bis zu 1. April fielen 2 Bomben auf Oldendorf, eine auf den Hauptweg des Friedhofs nahe am Eingang, die andere auf den Schuttplatz zwischen Friedhof und Bäckerei Siebke. Einige Stunden nach dem Beschuss erfolgte Bordwaffenbeschuss, wodurch Dachschäden verursacht wurden.
Morgens um 8 Uhr, am 1. Ostertage, bot sich mir am Friedhof folgendes Bild:
Der Bombentrichter auf dem Friedhof war etwa 10 m breit und 2-3 m tief. Er stand 1/3 voll Wasser; befand sich doch hier die Wasserleitung-Stelle mit dem Kran und dem aus Sandsteinen bestehenden Wasserbehälter, von dem nun nichts mehr zu sehen war. Die Nachbargräber bezw. Grabstellen in östlicher Richtung - Krebs und Steierberg -, in westlicher - Watermann und [Leerstelle] - hatten am meisten gelitten. Doch glaubte ich in meiner Predigt noch folgendes sagen zu können: „Ist nicht gestern abend und diese Nacht der Tod wieder nahe an uns vorüber gegangen? Er ist vorüber gegangen, Gott sei Dank! Noch einmal war uns Gott gnädig. Die Lebenden hat er am Leben erhalten und die Toten hat er in ihren Gräbern ruhen lassen, wenn Grabsteine auch stürzten“.
Freilich, diese waren in grösserer Zahl durch den Luftdruck umgefallen, ja der von Frau Watermann wurde mit seinen etwa 6 Zentnern auf das Dach der benachbarten Tankstelle geschleudert.
So ist zu fürchten, dass die Gebeine dieses Grabes wie auch des Grabes von [Leerstelle] fortgeschleudert sind. Natürlich wurden in der Umgebung auch Schäden leichter und schwererer Art angerichtet.
Ueber Ursache und Zweck dieser Beschiessung gehen die Meinungen auseinander. Ursache sei mangelhafte Verdunkelung; Zweck sei Beschiessung des Verkehrs von der Westfront, der seit einigen Tagen ziemlich stark war, oder Beschiessung der Brautlechtschen Fabrik.
Der 2. Ostertag verlief verhältnismässig ruhig, sodass die Gottesdienste gehalten werden konnten. Eine Folge des Näherkommens der Front war eifriges Packen und Räumen. Auch der Pfarrhauskeller füllte sich immer mehr von Sachen unserer 3 Familien. Mittwoch mussten wir, zum ersten Male im ganzen Krieg, in den Keller. Nachts wurde - auf Veranlassung des Hauptlehrers Holste - durch den Ausrufer bekannt gemacht, Frauen und Kinder sollten Oldendorf verlassen. Diesem Unfug des Ausrufens wurde jedoch durch den Bürgermeister Einhalt geboten. Am nächsten wie auch in den folgenden Tagen haben tatsächlich viele Frauen und Kinder sowie auch Männer Oldendorf verlassen und die umliegenden Dörfer aufgesucht. Wir haben nie daran gedacht, fortzugehen.
Mittwochmorgen 4 Uhr setzte die feindliche Artilleriebeschiessung aus der Richtung Rumbeck-Hohenrode-Uchtorf ein. Seit einigen Tagen stand ein Flakzug (4 Geschütze) auf unserem Bahnhof. Dieser wurde zwar Dienstag, den 3.4. in Richtung Hameln von hier abgezogen, hielt aber 1 km östlich von hier.
Diese Flakgeschütze beschossen mehrmals feindliche Flieger und zogen die Artilleriebeschiessung auf sich. Es dauerte nicht lange und 3 Geschütze unserer Flak (Flieger-Abwehr-Kanonen) waren zum Schweigen gebracht. Ein Munitionswagen wurde getroffen und flog nach und nach in die Luft. Die übrigen Wagen wurden z.T. getrennt und stehen dort noch auf derselben Stelle. (8.4. und noch länger). Der Eisenbahnverkehr ruht auf unserer Strecke.
Wie ich schon sagte, wurde die feindliche Art.beschiessung für uns das Zeichen, im Keller Zuflucht zu suchen, was wir bis zur Besetzung oftmals getan haben. In unserem hinteren Keller hatten wir das Fenster notdürftig verbaut, während die beiden Fenster im vorderen Keller freiblieben. So versammelten sich in dem hintern Keller meistens folgende Personen: Frau Pütz mit ihren beiden Kindern (3 und 8 Jahre) und Mutter, geb. Götze; Frau Kehlert mit ihrer Mutter und Schwester; Frau Kruppel mit Kind (1 3/4 Jahr); meine Frau, Sohn Martin und ich, während Herr Gehrken gesundheitshalber den Keller mied.
In der Frühe des 2. Ostertages war Pastor i.R. K a u f m a n n gestorben und zwar 14 Tage nach Metropolitan i.R. W e r n e r; jener 84, dieser 87 Jahre alt. Kaufmanns Beerdigung war auf Donnerstag 3 Uhr angesetzt, und die Gemeinde am 2. Ostertage dazu eingeladen. Doch veranlassten uns die Umstände, die Beerdigung bereits Mittwoch um 11 Uhr vorzunehmen.
Sie erfolgte vom Trauerhause aus. Geladen war der Kirchenvorstand, sonst war die Beteiligung gering. Während ich die Trauerfeier im Hause hielt, nahm Pastor Bürgener die Bestattung vor. Die frühere Vornahme der Beerdigung erwies sich als richtig, denn Freitag war die Lage noch ernster geworden.
- 2 -
Die schlimmste Nacht war die von Freitag auf Sonnabend. Konnten wir in den vorhergehenden Nächten das Bett noch stundenweise aufsuchen, so war das in dieser Nacht nicht mehr möglich.
Lag doch das Pfarrhaus genau im Schussfeld. In dem Bezirk der Stadt zwischen Weserstrasse, Fabrikstrasse und Schulstrasse, einschliesslich Zuckerfabrik, also auf dem engen Raum von 200 mal 150 Metern schlugen etwa dreissig Granaten ein, deren Kaliber vermutlich 10,5 oder 7,5 war. Das Rittergut zählte allein ungefähr 10 Volltreffer, von denen glücklicher Weise nur der letzte zündete. Eine Granate schlug in ein Zimmer, durchschlug den Fussboden und drang in den Keller, wo die eingemachten Sachen aufbewahrt wurden und richteten hier grosse Verwüstungen an. Dem Ortsgruppenleiter setzte der Gegner eine Granate auf das Dach. Eine traf das Hospital ad spiritum sanktum. Auch in dem Hause Pastor Kaufmanns drang ein Geschoss durch das Schlafzimmer in das Wohnzimmer ein, wo kurz zuvor noch der Sarg stand.
Eine Granate fuhr 5-6 m rechts am Kirchendach - über dem Altarraum - vorbei und schlug zwischen Kirche und Ratskeller ein. Die übrigen Teile der Stadt blieben fast ganz unversehrt.
Nur der oben bezeichnete verhältnismässig enge Raum wurde beschossen. Trotzdem ist kein Menschenleben zu beklagen. Niemand erlitt auch nur einen Schaden am Körper. Darin darf man wohl eine gnädige Bewahrung sehen, für die wir Gott nicht genug danken können. Die Sachschäden sind nicht bedeutend. Manches Dach und manche Hauswand wurde zwar beschädigt; viele Fensterscheiben gingen in Trümmer, im Pfarrhaus nur sieben, aber keine nur durch Luftdruck, sondern durch Granatsplitter; einer drang in mein Amtszimmer, einer in das Wohnzimmer und einer in den vorderen Keller. Im ganzen wies das Pfarrhaus etwa 25 Treffer auf. Einige Dachziegel waren durchschlagen. Im übrigen waren die Schäden gering. Etwa 12 Bäume im Pfarrgarten wiesen Spuren der Beschiessung auf. Aber bis heute, den 11. April, sind wir alle verschont geblieben.
Am Sonntagmorgen (8.4.) schien die „zweite Schlacht bei Oldendorf“ zu entbrennen. Gleichzeitig war im Westen und Osten Gefechtslärm zu vernehmen. Am heftigsten war die „Schlacht“ bei Höfingen, das auch am meisten gelitten hat. Eine Reihe Bauernhöfe gingen in Flammen auf. Auch in anderen Dörfern entstanden Brände. In [Gut] Stau brannte die grosse Feldscheune ab. Feindliche Panzer hatten von Fischbeck aus vorgefühlt, wurden dann aber „im konzentrischen Angriff“ oder Abwehr, wie es abends im Rundfunk hiess, abgeschlagen. Auch dies war lediglich eine geringfügige Kampfhandlung. -
Soldaten weit im Süden Europas haben im Rundfunk von schweren Kämpfen zwischen Rinteln und Hameln gehört, wodurch sie ganz unnötigerweise aufgeregt wurden. -
Auch das kleine Treffen forderte freilich Opfer. In Fischbeck wurden Soldaten und Zivilisten beerdigt. Ich selbst habe hier den Obergefreiten Lippe aus Lübbow und in Krückeberg einen Leutnant und einen Gefreiten ? begraben. Ein katholischer Wachtmeister wurde vom Kaplan beerdigt, zusammen mit einer Frau, die hier in der Nähe von amerikanischen Besatzungstruppen erschossen wurden, weil sie auf Anruf nicht stille standen.
Unser Felsenkeller diente mehrere Tage als Lazaret. Später wurde es in das Brautlechtsche Verwaltungsgebäude verlegt. Auf meine Bitte besuchte Pastor Hammel aus Emmerich dies Lazarett.
Dieser ausgebombte Amtsbruder wie auch Pastor Müller aus Orsoy am Rhein vertraten mich mehrfach im Gottesdienst wie in Bibelstunden. Mir verblieb durch zahlreiche Beerdigungen noch genug Arbeit.
M i t t w o c h, den 11. A p r i l: Heute, 15,30 Uhr haben die Amerikaner ihren Einzug in Oldendorf gehalten. Schützen und Panzer kamen den Feldweg aus der Richtung Gr.-Wieden. Der Zahnarzt Hauptmann Dr. Schrewe, der vor einiger Zeit aus dem Felde zurückgekehrt war, war ihnen als Parlamentär entgegengefahren, worauf die Gegner das Panzerfeuer einstellten.
Zwar fehlte es nicht an wahnsinnigen Burschen - Willi Rinne wurde genannt - die meinten, Oldendorf müsse sich verteidigen. Aber die Vernunft siegte doch. So wurde im Einvernehmen mit dem Bürgermeister die Uebergabe der Stadt angeboten. War doch die Stadt schon vorher von den deutschen Truppen geräumt worden.
Ueber das Hissen der weissen Fahne am Kirchturm herrschte morgens noch Meinungsverschiedenheit. Der Bürgermeister lehnte das Hissen als schimpflich ab, während es von der Bevölkerung allgemein gewünscht wurde. Ich selbst hatte eine Aussprache mit dem Bürgermeister.
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Morgens hatte ich schon mit meinem Sohn Martin während des Gefechts den Turm bestiegen und zwei Fahnen bereit gemacht. Als die Feinde der Stadt ganz nahe waren, gab ich Martin das Zeichen, die Fahnen zu hissen.
Inzwischen hatte der Gegner die Stadt betreten. Es fiel kein Schuss mehr. Die Besetzung der Stadt erfolgte ohne Zwischenfälle. Herrlicher Sonnenschein lag über unserem Tal. Die Bewohner standen an den Strassen und sahen sich wortlos das Schauspiel an, wie die amerikanische Infanterie einzeln hintereinander auf beiden Bürgersteigen einzogen, die Panzer in grösseren Abständen zwischen sich. Die Gesichter der Deutschen waren ernst; einige Frauen sah ich weinen. Die Gesichter der Polen glänzten vor Freude.
Wenn wir auch keinen Grund zur Freude haben, so müssen wir doch Gott danken, dass die Besatzung ohne Schaden und Verlust erfolgte, während umliegende Dörfer, z.B. Rohden, starken Brandschaden hatten.
Erleichtert atmete man auf, in dem Glauben, für Oldendorf sei die Gefahr nun vorüber. Aber darin hatten wir uns geirrt. Nach dem Einmarsch in Oldendorf schwieg freilich aller „Schlachtenlärm“. Aber nach 4-5 Stunden setzte neues Schiessen ein. Die Panzer waren durch Oldendorf zurückgerollt. Zwischen 8-9 Uhr heulte Granate über Granate über Oldendorf weg, und zwar in östlicher und nordöstlicher Richtung. Krückeberg und nächste Umgebung erhielten Treffer, besonders aber Rohden. Von Abschuss bis zum Aufschlag der Granaten konnte man 10 Sekunden zählen. Die Explosionen waren sehr stark. Wir standen auf den Strassen und erlebten unbekümmert die letzten Stunden unseres Kampfes.
Der Gegner vermutete wohl noch deutsche Truppen in den Dörfern und im Walde. Tatsächlich haben mehrere Deutsche bei der Paschenburg den Tod gefunden. In der Schonung östlich der Paschenburg befindet sich ein Grab mit acht deutschen Kriegern, unter denen, die meisten 18jährig, am 11.4. gefallen sind.
In der Nacht vom 11.-12.4. wurde Oldendorf noch einmal beschossen. Und gerade unser Bezirk erhielt wieder Treffer. Um 7,30 Uhr schlug nochmals eine Granate in Münchhausens Scheune und zündete im Stroh. Doch wurde das Feuer durch die Feuerwehr sofort gelöscht. Wiederum wurden wir gnädig bewahrt. Gott sei Dank und Ehre! Wie ich hörte, handelte es sich bei dieser Beschiessung um Fehlschüsse der Amerikaner, die bestimmt nicht die Absicht hatten, das Leben ihrer eignen Kameraden in der Stadt zu gefährden.
Die folgende Nacht verlief ganz ruhig. Wohl wurden an den folgenden Abenden noch einige Schüsse abgegeben, deren Geschosse in unmittelbarer Nähe krepierten, aber es handelte sich dabei wohl um Signalschüsse. Vom 4.-12. April lag also Oldendorf unter feindlichem Granatfeuer.
Ein Ueberblick auf die militärischen Vorgänge dieser Tage ergibt folgendes Bild:
Aus Richtung Paderborn und Rinteln stiess der Gegner vor. Ueber Dehmkerbrook gelangten bei Helpensen Panzer in das Wesertal. Da die schöne Brücke in Hameln von uns gesprengt worden war, überquerte der Gegner auf eigener Brücke die Weser und stiess in Richtung Hildesheim und Hannover vor. Etwa 8 Panzer erreichten über Hameln Fischbeck und trafen hier und in Höfingen u.s.w. auf Widerstand, wodurch das Treffen am Sonntagmorgen entstand (8.4.).
Sonntagnachmittag rollten jenseits der Weser stundenlang feindliche Kraftwagen über Friedrichsburg - Hesslingen in Richtung Hameln. Hesslingen soll besetzt gewesen sein. Auch unsere so gut in die Landschaft passende Hängebrücke (früher in Hameln) wurde unverständigerweise von uns gesprengt, obwohl sie für Panzer zu schwach war. Jedenfalls hätte man sich damit begnügen sollen, einige Bohlen in die Weser zu werfen. Wieviel sinnloses Zerstören dieser Art kommt auf das Konto der Wehrmacht! Die neue Hindenburg-Brücke in Rinteln ereilte dasselbe Schicksal.
Ueber die militärischen Vorgänge in Rinteln fehlen noch bestimmte Nachrichten. Jedenfalls drangen feindliche Panzer bereits am Sonntag in das Auetal ein und zwar in grösserer Anzahl. Die Autobahn konnten sie nicht benutzen, da die Ueberführungen durch Sprengung eines Pfeilers unbrauchbar gemacht waren. Ueber Apelern und Rodenberg, wie auch über Bückeburg und Stadthagen ging der Gegner auf Hannover vor, wo er sich mit den über Hameln vorgedrungenen Truppen die Hand reichten. Nun war Oldendorf eingekesselt. Diese Einkesselung dauerte etwa vom 7. - 12. April. So konnte es geschehen, dass Hannover eher in Feindeshand war als Hess.-Oldendorf.
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F r e i t a g, d e n 13.4.45: zwei Tage nach der Besetzung entstand hier eine regelrechte Panik. Gegen 5 Uhr nachmittags fuhr ich zum Friedhof, um nach einem Grabe zu sehen. Als ich hinfuhr, war keine weisse Fahne zu erblicken. Als [ich] etwa 10 Minuten später zurück durch die Stadt fuhr, hingen aus jedem Hause eine oder mehrere weisse Fahnen, und zwar auf Veranlassung des Bürgermeisters, der sich zwei Tage vorher gegen das Hissen gesperrt hatte. Was war geschehen? Wahrscheinlich gar nichts. Ein Gerücht war einmal wieder entstanden, SS habe sich im Walde verborgen und komme jetzt, um gegen die Fremden vorzugehen. Geschehe das, dann werde Oldendorf im Klumpen geschossen. Ein amerikanischer Soldat habe gesagt: Weisse Fahnen oder Flammenwerfer!?
Das Tatsächliche lässt sich wohl nicht mehr feststellen. Tatsache ist nur, dass die Fremdarbeiter gruppenweise auf den Strassen standen und Räder auf offener Strasse geraubt wurden. Jedenfalls: Die Panik war da.
Auch die beiden Fahnen am Turm wurden wieder gehisst, die auf Veranlassung des Bürgermeisters sofort nach der Besetzung wieder eingezogen waren. Der reiche Flaggenschmuck herrschte auch noch an Hitlers Geburtstag, eine sehr würdige Beflaggung!! Auch die umliegenden Dörfer zeigten noch die weisse Fahne.
Eine Begleiterscheinung der kritischen Tage war eine reichliche Verteilung von Lebensmitteln, z.B. Brot, Zucker, Rübenschnitzel. In den Abendstunden rollten die Wagen aus den Dörfern zur Zuckerfabrik. Schuhläger wurden geöffnet. Ein Lager stand für jeden kostenlos offen. Es handelte sich aber fast nur um sehr grosses Schuhwerk, das auch später zurückgefordert wurde.
Sonntag hielt ich einen Gottesdienst, der von etwa 150 Personen besucht war (15.4.). Evakuierte waren ziemlich vertreten, während die Oldendorfer nicht so sehr das Bedürfnis fühlten, Gott zu danken, jedenfalls nicht im Gotteshause.
Ich predigte über Johannes 10, 12 und 27. Mis. Dom. Was fordert die Barmherzigkeit des Herrn heute von uns?
1. Aufrichtigen Dank. 2. tiefe Demut. 3. festes Vertrauen. 4. Neuen Gehorsam.
Statt auf dem Heimwege an sich selbst Kritik zu üben, kritisierte man die Predigt, wovon ich zwei Fälle feststellen konnte. Freilich hatte man in einem Falle gehört, was ich nicht gesagt hatte.
Am 30.4. war eine Pfarrkonferenz in Hohenrode. Hier erfuhr ich:
Rinteln wurde am 4.4. besetzt, Hameln am 8.4., Hannover am 10.4., während in Oldendorf erst am 11.4. die feindlichen Truppen einrückten.
Nicht lange vor den Kämpfen im Wesertal wurde Amtsbruder Wessel in Eisbergen durch Tiefflieger bei einer Beerdigung getötet. Missionar Funke in Rinteln verlor seinen jüngsten Sohn im Schützengraben in - - Rinteln. Er holte selbst die Leiche und begrub sie im Garten seiner Wohnung, da sie nicht über die Weser zum Friedhof gebracht werden konnte.
Der Lyzealdirektor Ande, Rinteln, der wegen Uebergabe der Stadt mit dem Gegner verhandelt hatte, wurde - vom Werwolf? - als Feigling ermordet. Unter sehr grosser Beteiligung fand seine Beerdigung statt.
Am Sonntag Rogate, Pfingsten I und Trinitatis fanden hier für weisse und schwarze amerikanische Truppen Gottesdienste statt. An einem Sonntag war um 10,30 Uhr im Kino für englische Soldaten Gottesdienst. Am 1. Mai war Feiertag, über dessen Sinn und Bedeutung man aber nicht im klaren war. Der Himmelfahrtstag wurde im letzten Augenblick als gesetzlicher Feiertag freigegeben. Der Gottesdienst war gut besucht. Auch an den Pfingsttagen waren die Gottesdienste gut besucht. Wenn der Besuch der Erwachsenen vor dem Zusammenbruch durchschnittlich 60 - 70 betrug, so ist er jetzt wohl auf das Doppelte gestiegen, und zwar an gewöhnlichen Sonntagen.
Seit dem 1. Juni haben wir englische Besatzung. Am 6.6. wurden Dr. Blancke, Dr. Fallmeier, Lehrer Grotian, Oskar Wehrhahn (Feuerwehr), Kaplan Lütkefend und ich vor den Kommandeur geladen, der uns die Ordnung der Stadt an das Herz legte. Bestimmungen über das Verhältnis zwischen Militärregierung und Zivilbevölkerung wurden verlesen. Da das Gremium seit dem nicht wieder zusammengetreten ist, hat es wohl keine weitere Bedeutung. [...]
Das Folgende wieder handschriftlich.
Wenn dem [Bürgermeister] Dr. Blancke oft auch die Initiative fehlte, und wenn er auch ein zu gefügiges Werkzeug in der Hand der Nationalsozialisten war, so sehen viele Gemeindeglieder in seiner Entlassung (ohne Pension?) doch eine nicht gerechtfertigte Maßnahme, die vermutlich auf Anschwärzung beruht. Wenn ihn ein Freund seines Sohne Wolfgang, Pastor Freiherr von Vittinghof, eine „pia anima“ nannte, dann mag er damit wohl recht haben.
Der Nachfolger Dr. Blanckes wurde der Fabrikarbeiter Willi Mucke (SPD) u. zwar als „Stadtdirektor“, während Beier, ebenfalls Fabrikarbeiter und SPD, der politische Bürgermeister wurde. Mucke griff nun die Friedhofsfrage auf. Die begonnenen Arbeiten wurden fortgesetzt.
Am 9. September 1945 feierte die Frauenhilfe ihr 45jähriges Bestehen, morgens durch Festgottesdienst, nachmittags durch eine Kaffeetafel im Gemeindesaal, bei der Frau Äbtissin von Gersdorff und die Sprengelbeauftragte u. Vikarin Frl. Günther zugegen waren. Die Frauenhilfe zählt jetzt 62 Mitglieder.
Am 14. p. Tr. lud ich zum 1. Mal wieder zum Kirchenchor ein. Die alten Mitglieder wurden in der Abkündigung auch besonders eingeladen, kamen aber nur zum Teil wieder. Der Chor zählt jetzt etwa 45 Mitglieder, wird von mir geleitet (einstweilen) und singt an den Festtagen und bei besonderen Gelegenheiten.
Zum 9. Januar 1946 habe ich die evang. Evakuierten zu einem Vortrag (Bilder aus der Geschichte Oldendorfs) eingeladen. Etwa 40 kamen. Meine Anregung zu engeren Beziehungen blieben jedoch erfolglos. […]
Material-Anhang
Zur antijüdischen Kampagnie 1935:
Flugblatt. Aufgehoben in der Kirchen- u. Kriegschronik S. 207
M1
Artikel in der Schaumburger Zeitung v. 17.07.1935 und 19.07.1935, verfasst vom Sparkassenbeamten Rügge.
M2a
M2b
Zur antikirchlichen Haltung des NS-Regimes:
M3 Schaumburger Zeitung v. 02.07.1935
M4 Schaumburger Zeitung v. 08.07.1935. Aus einer Rede von SA-Stabschef Lutze
M5 Schaumburger Zeitung v. 17.07.1935
M6 Schaumburger Zeitung v. 23.07.1935
Zu den pro-sowjetischen Äußerungen des Erzbischofs von Canterbury 1941:
M7 Marburger Zeitung (Maribor/Drau) v. 05.09.1941
M8 - M9 Schaumburger Zeitung v. 08.09.1941
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